Zwischen Zwängen der Nachhaltigkeits-Regulierung und Chancen der Marktvolatilität

InVV-Befragung 2023 unter unabhängigen Vermögensverwaltungen in Deutschland

Für ihre diesjährige Befragung deutscher unabhängiger Vermögensverwaltungen konnte das Institut für Vermögensverwaltung der TH Aschaffenburg die Antworten von 154 Teilnehmern (von 400 unabhängigen Vermögensverwaltungen) auswerten. Die Häuser wurden in vier Gruppen gemäß verwaltetem Vermögen eingeteilt: bis 50 Mio. Euro (23 Teilnehmer); 50 bis 150 Mio. (41); 150-500 Mio. (54); über 500 Mio. (33) (keine Angaben machten 3). Die Ergebnisse der Befragung werden als Prozentwerte der Vermögensverwaltungen einer Größenklasse präsentiert. Das InVV fragte vier Themenkomplexe ab: Kundenstruktur, Mitarbeiterstruktur, Lage der Vermögensverwaltungen, Anlagestrategie.

Kundenstruktur

Im Schnitt sind etwa 60 Prozent (55-66%, wenn man die Werte pro Größenklasse nimmt) der Vermögensverwaltungs-Kunden Männer und 40 Prozent (34-45%) Frauen. Einen akademischen Abschluss kann etwas mehr als die Hälfte der Kunden vorweisen. Die größte Häufung findet sich in der Altersgruppe zwischen 50 bis 60 J. und 60-70 J., das sind die Jahrgänge 1953 bis 1973. Die über 70-jährigen sind etwa so zahlreich wie die 40-50-Jährigen. Ältere, formal höher qualifizierte Männer sind also die dominante Kundengruppe.

Die Kundenzahl ist bei der Mehrheit (50-70%) der Verwaltungen im vergangenen Jahr gestiegen. Die meisten Verwaltungen (60-70%) erwarten einen weiteren Anstieg der Kundenzahl im nächsten Jahr.

Mitarbeiterqualifikation

Offenkundig empfindet die Mehrheit der Vermögensverwaltungen eine Lücke zwischen der von akademischer Theorie und Empirie bestimmten Wissenschaft der Geldanlage und der auf Erfahrung beruhenden Kunst der Vermögensverwaltung. Denn 50 bis 70 Prozent der Befragten wünschen sich ein duales Studium der Vermögensverwaltung. Je größer die Vermögensverwaltungen, umso häufiger wurde dieser Wunsch geäußert.

Lage der Vermögensverwaltungen

Das InVV fragte auch nach zukünftigen Chancen und Herausforderungen. Ganz oben bei den unternehmerischen Chancen rangierte die Kundengewinnung (87-94%). Personalgewinnung wurde umso eher als Chance gesehen, je größer eine Verwaltung ist. Digitalisierung begriffen 33-42 Prozent als Chance.

Als größte unternehmerische Herausforderung galt der überwiegenden Mehrheit der Verwaltungen die Personalgewinnung – außer bei Vermögen unter 50 Mio. Für die Gruppe mit dem kleinsten verwalteten Vermögen sind sowohl die Kundengewinnung wie auch steigende Kosten die größte Herausforderung.

Auf die Frage nach den größten Chancen am Kapitalmarkt erhielt die kapitalmarktspezifische Antwort „Volatilität der Märkte“ die höchste Zustimmung unter den Umfrageteilnehmern. Das ist nicht unbedingt überraschend, denn ohne Risiken gäbe es keine Chancen und ohne Chancen gäbe es keine Vermögensverwaltungen. Mit einigem Abstand folgte ein makroökonomischer Indikator, die Inflation. Als die größte Herausforderung erachteten 60 bis 80 Prozent der Befragten die Regulatorik, gefolgt von Inflation, volatilen Märkten und ESG.

Der Markt der unabhängigen Vermögensverwalter ist generell immer dem Wandel unterworfen, derzeit scheinen sich aber Veränderungsfaktoren zu verdichten. Das sollte sich auch in der Gesellschaftsstruktur niederschlagen. Danach fragte das InVV die Teilnehmer gleichfalls. Demzufolge plant etwa ein Viertel bis ein Drittel eine Änderung der Gesellschaftsstruktur. Solche Änderungen bestehen gerade bei mittelkleinen Vermögensverwaltungen in der Neuaufnahme von Gesellschaftern. Ausscheiden von Gesellschaftern ist gleichfalls ein Grund. Ebenso die Übertragung von Anteilen oder Zusammenschlüsse mit anderen Vermögensverwaltungen. Letzteres ist gerade für kleinere Häuser bedeutsamer.

Anlagestrategie

Die InVV-Fragen zur Anlagestrategie bezogen sich auf Anlagethemen, Quoten und Risiken.

Auf der Relevanzagenda für die nächsten 12 Monaten bildeten drei Themen das knapp führende Zustimmungs-Cluster: Sicherheit (55-68%), Software/Technologie (45-64%) und KI (48-60%). Etwas dahinter lagen Nachhaltigkeit, Gesundheit, Digitalisierung und Rohstoffe. Alle anderen zur Auswahl gestellten Themen, wie etwa Smart Cities, Wasserstoff, zyklischer und antizyklischer Konsum sowie Alternative Investments wurden von deutlich weniger Befragten als relevant erachtet.

InVV fragte auch vergangene und geplante zukünftige Veränderungen für einige Assetquoten ab.

Den Rentenanteil unverändert ließen im vergangenen Jahr 71% der Vermögensverwaltungen in der kleinsten Größenklasse und 31 % in der größten Kategorie. Unter den Großen haben die Rentenquote 31% erhöht und 25% vermindert.

Für die Zukunft ist der Quotenkonsens etwas größer: Etwa die Hälfte möchte den Rentenanteil erhöhen, reduzieren möchte ihn nur eine verschwindende Minderheit.

Liquidität wurde 2022 eher erhöht als vermindert, mehrheitlich aber konstant gehalten. Die meisten beabsichtigen die Barquote in den nächsten 12 Monaten unverändert zu lassen oder zu senken.

Insgesamt hat sich das durchschnittliche Risiko in den Portfolios im Jahr 2022 gegenüber dem Vorjahr etwas vermindert. Das durchschnittliche Median-Risiko über alle Größenklassen lag 2021 knapp unter 3,5 (von 7) und 2022 deutlicher darunter.

Die durchschnittliche Rendite (nach Kosten und vor Steuern) der an der Befragung teilnehmenden Vermögensverwaltungen lag im Jahr 2022 zwischen -6% (unter 50 Mio. Euro) und -9% (150-500 Mio. Euro); der MSCI World verlor in diesem Zeitraum 13 Prozent.

Thema Nachhaltigkeit

Auf die Frage „Welche Möglichkeiten/Kritikpunkte/Verbesserungsvorschläge verbinden Sie mit dem Thema nachhaltiger Anlagestrategien?“ waren kritische Antworten ganz vorne. Die überwiegende Mehrheit der teilnehmenden Verwaltungen erkennt im ESG-Bereich keine klaren Regulierungen und empfindet die neueren rechtlichen Vorgaben als Zwang durch den Gesetzgeber (65 bis 80%). Etwa zwei Drittel verbinden mit Nachhaltigkeit das Thema Greenwashing. Erst dann wird mit Nachhaltigkeit Positives assoziiert: Ungefähr die Hälfte denkt bei Nachhaltigkeit im Fragekontext an gesellschaftliche Verantwortung. Rund ein Fünftel der Teilnehmer ist der Auffassung, dass sich Nachhaltigkeit als Werkzeug zur Gewinnung neuer Kunden eignet. Die häufig beschworene Verringerung von Anlagerisiken durch nachhaltige Geldanlage bejaht nur eine Minderheit, allerdings mit Unterschieden in Abhängigkeit von der Größengruppe: Die beiden mittleren Gruppen glauben kaum daran, bei kleinen und großen Verwaltungen sind es deutlich mehr. Dass es sich beim Thema Nachhaltigkeit um einen vorübergehenden Trend handelt, glauben nur wenige der Umfrageteilnehmer (3 bis 10%). Noch weniger sind der Ansicht, dass nachhaltige Geldanlage das Renditepotential steigert (5-6%). 

Fazit

Alles in allem müssen sich unabhängige Vermögensverwaltungen auch 2023 mit einer Vielzahl von sogenannten Herausforderungen arrangieren. Nehmen wir zwei heraus: Einerseits betrachten sie größere „Unklarheit“ etwa in Gestalt von erhöhter Volatilität als Chance. Andererseits empfinden sie Regulierungen gerade im Zusammenhang mit Nachhaltigkeit vielfach als unklar und auch als Zwang. Der Unterschied dieser beiden Unklarheiten ist wohl der: Im erstgenannten Fall handelt es sich um „Unklarheiten“, besser bekannt unter dem Begriff „Risiken“, mit denen umzugehen gerade der Zweck von Vermögensverwaltungen ist. Im zweiten Fall handelt es sich um politisch-rechtlich induzierte Unklarheiten, zu denen sich Vermögensverwaltungen eher passiv-umsetzend verhalten. Das verbraucht aber zusätzliche Ressourcen, die bei mehr regulatorischer Klarheit für andere Aufgaben produktiver verwendet werden könnten. Das kann dann auch leicht dazu führen, dass die formellen Nachhaltigkeitsansprüche heruntergeschraubt werden müssen, weil der erforderliche Aufwand nicht zu leisten ist. Dass Unklarheit, Zwang sowie Greenwashing im Kontext mit Nachhaltigkeit am häufigsten genannten wurden, kann man auch als Indiz dafür werten, dass viele Vermögensverwaltungen Nachhaltigkeit momentan eher als Problem wahrnehmen denn als Chance.