Zahlen lügen nicht!

Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds, über Probleme mit der Charttechnik.

Wir alle haben dies schon häufiger von Anhängern der Charttechnik gehört: Ein charttechnischer Widerstand sei durchbrochen und daher der Kurs jetzt nach oben frei. Oder: Eine Aktie befinde sich in einem stabilen Aufwärtstrend. Aber sind das wirklich Kaufargumente oder Kaufsignale?

Wir sind gegenüber der Charttechnik skeptisch

Mich erinnert es eher an eine Situation, in der gerade in dem Moment, in dem man an der Tankstelle vorfährt, der Benzinpreis um 5 Cent anzieht. Ich weiß nicht, ob Sie das als Ermunterung auffassen würden, gerade jetzt noch rasch zu tanken. Für mich jedenfalls wäre dies kein Grund zur Freude.

Bei meinem ersten Arbeitgeber Schröder Münchmeyer Hengst & Co nannte man damals die Charttechnik auch „Knochenwerfen“, also dem Zufall freien Lauf zu lassen. Ich habe in den wilden Zeiten des Neuen Marktes als Junior-Fondsmanager einmal gelernt: „Traue keinem Chart, den du nicht selbst gezeichnet hast.“

Gezielte Beeinflussung der Kursentwicklung

Insbesondere in marktengen Titeln können gezielte kleinere Käufe oder Verkäufe einen Kurs in die eine oder andere Richtung bewegen. Eine besondere Rolle spielte in diesem Zusammenhang damals die Sendung „3satbörse“. Zum Beispiel prognostizierte man mit Hilfe von Charts, dass sich ein Kurs auf „dausend“ Euro erhöhen wird. Es gab dafür Spezialisten, die sehr überzeugend argumentieren konnten. Der Kurs stieg auch, weil schon die Empfehlung im Fernsehen ausreichte, dass andere Anleger auf den Zug mit aufsprangen. Das hatte nichts mit dem Chart zu tun. Aber ganz nebenbei: Auch die Zentralbanken bedienen sich, zwar seriöser und in einer nicht so plakativen Form, der Charttechnik als einer Art Seelenmassage.

Und wir bleiben noch mal bei der „3satbörse“. Das gab es nämlich auch: Man schaute sich die Empfehlungen des Wettbewerbers ganz genau an, um kurz vor Ausstrahlung der Sendung mit gezielten Verkäufen deren Kurse durch einen Stopp-Loss zu drücken. Da konnte dann auch die beste Charttechnik nichts mehr ausrichten. Sie wurde durch gezielte Transaktionen einfach ausgehebelt. Dies ist sicherlich „Schnee von gestern“, und es gibt unzählige Studien, die belegen, dass bei einem kurzen Anlagehorizont die Momentum- oder Trendfolgestrategie durchaus sinnvoll ist.

Zahlen lügen nicht

Aber nicht für uns. Wir investieren mit einem Anlagehorizont von 3 bis 5 Jahren. Und hier sagt die Wissenschaft, dass der konträre Ansatz überlegen ist. Für uns sind die Fundamentaldaten das alles entscheidende Kriterium. Wo wir aber ganz genau hinschauen, ist, wenn bei einem verbesserten fundamentalen Umfeld der Aktienkurs fällt. Insbesondere an Tagen mit geringem Umsatz. Wenn dies der Fall ist, läuten bei uns die Alarmglocken, denn vermutlich sind dann Akteure im Markt, die nicht auf der Basis von Fundamentaldaten agieren. Andererseits ist der Marktimmer nur so gut wie seine Akteure.

Ein passendes Beispiel hierfür ist die Kursentwicklung des belgischen Dredging-Unternehmens Boskalis Westminster im Jahr 2004. Trotz guter operativer Zahlen sank der Aktienkurs unerklärlicherweise kontinuierlich. Uns erschien die Bewertung sehr attraktiv, und nach eingehender Prüfung der Zahlen kauften wir damals fast 5 % des Grundkapitals. Wie uns der Vorstand erst später berichtete, hatten wir dadurch unwissentlich eine unfreundliche Übernahme mit Squeeze Out verhindert. Der Kurs stieg zwar nicht um „dausend“, aber immerhin um sechshundert Prozent.

Aber Vorsicht: Wenn der Markt übermächtig gegen die eigene Einschätzung wettet, muss man sich auch mal von Positionen trennen.