Von der Post bis in den Orbit – alles Wachstum ist endlich

Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds, über die Probleme von extremen Bewertungen.

Ein KGV von über 200! Wer investiert in Unternehmen mit einer solchen hohen Bewertung? Womit ist das zu rechtfertigen? Mit Fantasie, noch mehr Fantasie und noch viel mehr Fantasie. Fantasie für unreguliertes Wachstum, ja für geradezu unendliches Wachstum. Und für Reichtum ohne Ende.

Nvidia hatte zeitweise ein KGV von über 200

Die Aktie des US-amerikanischen Hightech-Chipentwicklers Nvidia hatte zeitweise ein KGV von 220 – Künstliche Intelligenz ist hier der Treiber. Microsoft ist nicht so hoch bewertet, aber durch die Kommerzialisierung von Open AI und ähnlichen Anwendungen schießt hier auch die Fantasie langsam in den Himmel.

Apropos Himmel. Der nächste Treiber könnten Weltraumaktien werden. Unreguliert – statt: “The sky is the limit” gilt heute scheinbar: „The sky has no limit“! Man muss nur schnell sein, um seine Positionen zu besetzen. Dann kommt das Wachstum, dann kommen die Kunden und dann herrscht wieder Goldgräberstimmung.

Doch: Wie wird das enden? Da lohnt ein Blick zurück in die Vergangenheit, als andere Innovationen die Fantasie der Anleger anregten. Etwa die Post, oder die Bahn, das Telefon oder das Internet. Am Ende wurden sie alle zu reinen Commodities „degradiert“!

Die Post: Vom Monopol bis zum Commodity

Nehmen wir die Post. Im 16. Jahrhundert begann die Familie von Thurn und Taxis Mit der ersten Poststrecke. Man transportierte die Kurier-Post des Kaisers – und dann wurde zügig das Netz erweitert, bis man endlich ein Monopol aufgebaut hatte. Das Wachstumspotential war enorm. Die Welt lag der Dynastie zu Füßen, denn ob der Postreiter einen Brief transportierte oder 20 – die Kosten waren gleich, die Einnahmen aber ungleich höher. Heute würde man sagen: ein perfektes Beispiel für „Economies of Scale“, mit dem entsprechenden Wachstum.

Und heute? Was ist daraus geworden? Im Grunde genommen ist die Post ein reguliertes Geschäft, bei dem der Postbote täglich die Briefe ausliefert. Und was die Preise betrifft, so dürfen diese nicht einfach so erhöht werden. Da hat der Regulierer die Hand drauf. Zudem besteht durch das Internet eine starke Konkurrenz, sehr viel Schriftverkehr findet an der Post vorbei via E-Mails statt. So ist die Post heute zu einem reinen Commodity geworden.  

Die Bahn: Von extremem Wachstum bis zum überregulierten Transportmittel 

Ein weiteres Beispiel: die Bahn. In Deutschland führte die erste Strecke 1835 von Nürnberg nach Fürth. Sechs Kilometer war diese lang. Fünf Jahre später waren es bereits 500 Bahnkilometer. Und 1850, also 15 Jahre später, waren es schon über 5700 Kilometer. Wachstum ohne Ende. Eine wahre Erfolgsgeschichte.

Und es wurden nicht nur Personen befördert, sondern auch Waren transportiert, ganz ohne ein Flussnetzt zu benötigen. Es wurden also nicht nur Städte beliefert, die an einem Fluss lagen, sondern auch andere im Hinterland. Das war durch die Bahn nun möglich.

Und heute? Heute ist die Bahn ein überreguliertes und zumindest in Deutschland höchst defizitäres Staatsunternehmen. Wäre 1835 ein KGV von über 200 gerechtfertigt gewesen? Vielleicht. Heute reicht es nicht einmal mehr zu einem positiven KGV. Verluste lassen sich mit dieser Kennziffer halt schlecht berechnen.

Reine Fantasie vs. Realitätssinn

Fazit: Wachstum ist immer endlich. Bei einem KGV von sagen wir mal 250 muss sich der Gewinn in den nächsten acht Jahren immer wieder verdoppeln, um die Bewertung zu rechtfertigen. Und das bei immer schnelleren Produktlebenszyklen. Da braucht man schon sehr viel Fantasie, um sich so etwas vorzustellen.

Uns ist die Realität dann schon näher als die reine Fantasie. Das durchschnittliche KGV in unserem Contrarian Value Euroland Fonds liegt bei moderaten 6,5. Das sichert uns eine Rendite von gut 15 Prozent pro Jahr. Ein Wohlfühlfaktor, den wir nicht missen wollen.