„Uns ist es wichtig, im Austausch mit der Wissenschaft zu sein“

Nachhaltige Geldanlage ist längst eine eigene Wissenschaft geworden. Nachhaltigkeit besteht deshalb auch darin, dieses Wissen zu fördern und für die Praxis zu nutzen. Den Vorteil dieser Nachhaltigkeit zweiter Ordnung hat der Asset Manager der Evangelischen Bank, EB-SIM, schon früh erkannt. Wir sprachen mit Dr. André Höck, Head of ESG-Integration der EB-SIM, über die Kooperation der EB-SIM mit Universitäten, über Impact Investing und über die wachsende Komplexität der Nachhaltigkeitsmaterie.

Herr Höck, EB-SIM arbeitet im Themenbereich nachhaltige Geldanlage seit etlichen Jahren mit verschiedenen Universitäten zusammen. Welche sind das?

André Höck: Wir kooperierten in den letzten Jahren mit den Universitäten Hamburg, Gießen und Kassel in der Forschung bzw. Lehre. Uns ist es wichtig, im Austausch mit der Wissenschaft zu sein, um uns konstant weiterzuentwickeln und unsere Erfahrungen zu nachhaltigen Geldanlagen zu teilen. Dabei kooperieren wir insbesondere mit dem Lehrstuhl von Andreas Walter an der Justus-Liebig-Universität Gießen, der dort Professor für Finanzdienstleistungen ist und sich mit nachhaltiger Geldanlage befasst, dem Lehrstuhl „Nachhaltige Finanzwirtschaft“ von Professor Christian Klein an der Universität Kassel und dem Lehrstuhl „Management and Sustainability“ von Timo Busch an der Universität Hamburg.

Wie müssen wir uns diese Kooperation in der Lehre vorstellen?

AH: Sowohl in Bachelor- als auch Master-Studiengängen sind wir an Seminaren beteiligt. Zum einen berichten wir in den Veranstaltungen von unseren Erfahrungen und Strategien zur nachhaltigen Kapitalanlage, wodurch die Studierenden einen Einblick in die Praxis aus erster Hand erhalten. Zum anderen adressieren wir praxisrelevante Forschungsfragen an die Studierenden. Dabei profitieren wir von den spannenden Ergebnissen der Studierenden und den intensiven Diskussionen mit engagierten Seminarteilnehmern. Deshalb ist es für uns selbstverständlich, regelmäßig die besten Studienarbeiten zu prämieren und den Studierenden Praktika zu ermöglichen.

Und wie sieht es mit der Forschungskooperation aus?

AH: Hier fördern wir verschiedene, meist mehrjährige Forschungsprojekte mit dem Ziel, die Diskussion zu „Sustainable Finance“ und „Impact Investing“ voranzutreiben sowie unsere Produkte und Investmentprozesse konstant weiterzuentwickeln.

So unterstützen wir aktuell zwei Projekte. Erstens: ein Projekt an der Universität Kassel, das die Implikationen von physischen Klimarisiken für Unternehmensanleihen untersucht. Zweitens: ein größeres Forschungsprojekt in Kooperation mit den Universitäten Hamburg und Kassel mit dem Titel: „Sustainable Finance 3.0: The Effectiveness of Impact Investments.“ Hier geht es unter anderem um die Klassifikation nachhaltiger Geldanlagen. Dabei wurde insbesondere eine Definition für Impact Investments erarbeitet, die wir auch für unsere Produktpalette übernommen haben.

Unser nächstes großes Projekt wird eine Studie zur Nachhaltigkeitswirkung aus Kundensicht sein. Im Rahmen dieser Studie werden zwischen 3000 und 4000 private Finanzentscheider befragt, um deren Verständnis von Wirkung in der Kapitalanlage besser zu verstehen.

Dann schauen wir doch gleich auf den Ertrag der Impact-Forschung, zu dem auch Ihre Forschungsförderung beigetragen hat. Ich habe hier ein Arbeitspapier von Busch, van Hoorn, Stapelfeldt und Pruessner vor mir liegen mit dem Titel „Classification Scheme for Sustainable Investments“. Die Autoren unterscheiden drei Kategorien: Ausschluss, ESG-Integration und Impact Investing …

AH: … An der Klassifikation in diesem White Paper lässt sich die historische Entwicklung der nachhaltigen Geldanlage gut nachvollziehen. Zuerst ging es beim nachhaltigen Investieren um Ausschlüsse auf Basis von Normen und Werten. Das war noch vergleichsweise einfach. Das kann man als Sustainable Finance 1.0 bezeichnen. Dann wurde Nachhaltigkeit in die Finanzanalyse miteinbezogen. Im Rahmen dieser ESG-Integration wird untersucht, wie sich Nachhaltigkeits-Risiken oder -Chancen auf finanzielle Zielgrößen auswirken. Damit sind wir bei Sustainable Finance 2.0. Der jüngste Entwicklungsschub der nachhaltigen Geldanlage ist das Impact Investing, womit wir bei der neuesten Version Sustainable Finance 3.0 angekommen sind. Hier steht die Nachhaltigkeitswirkung im Zentrum, die von Unternehmen und Investoren ausgeht.

Bevor wir auf das Impact Investing eingehen, lassen Sie uns noch kurz über die ESG-Integration sprechen. Da geht es also darum, wie sich Nachhaltigkeitsfaktoren auf finanzielle Zielgrößen auswirken. Ein Nachhaltigkeits-Effekt wäre beispielweise eine verringerte Diversifikation, oder etwa nicht?

AH: Hier muss man zwei Aspekte unterscheiden, die gegenläufig sein können. Sie haben Recht, ein nachhaltiges Portfolio kann weniger diversifiziert sein als ein nicht-nachhaltiges, weil es oft weniger in besonders kritische Industriezweige wie den Energiesektor investiert. Aber das ist nur die eine Seite. Die andere ist die einzelwirtschaftliche Analyse der Unternehmen, in die wir investieren. ESG-Integration bedeutet hier, dass wir uns genau anschauen, welche finanziellen Risiken und Chancen sich aus den verschiedenen Facetten der Nachhaltigkeit ergeben. Um einige ganz einfache Beispiele zu nennen: Ein Unternehmen mit überdurchschnittlich vielen Arbeitsunfällen stellt für Investoren ein höheres finanzielles Risiko dar. Umgekehrt stärkt eine höhere Nachhaltigkeitsreputation eines Unternehmens die Kundenbindung. Dies trägt zur Stabilisierung der Nachfrage bei und verringert das finanzielle Risiko. So sind nachhaltigere Unternehmen oft risikoärmer und können besser an Zukunftsthemen partizipieren.

Nachhaltigkeit ist hier jeweils Mittel zum finanziellen Zweck. Wie sieht es nun aus mit Investitionen, die auch Mittel zum nachhaltigen Zweck sind, also mit Impact Investing?

AH.: Wir möchten bei all unseren Anlagen die negative Wirkung minimieren und bei einigen Produkten gezielt eine positive nachhaltige Wirkung erzielen. Wir unterscheiden dabei wirkungskompatible und wirkungseffektive Investments. Der Grund für diese Differenzierung sind die unterschiedlichen Wirkungsmechanismen der beiden Impact-Arten. Ein Beispiel für eine wirkungseffektive Investition ist die Finanzierung eines Windparks, wodurch der Investor direkt zur Verbesserung der CO2-Intensität bei der Stromproduktion beiträgt. In der Regel lassen sich wirkungseffektive Investitionen in illiquideren Märkten, bspw. durch Projektfinanzierung umsetzen.

Auf liquiden Märkten, wie bspw. Aktien und Renten, handelt es sich in der Regel um wirkungskompatible Investments. Impact-Investoren müssen als Aktionäre somit andere Wirkungskanäle nutzen. Und hier sind neben der gezielten Kapitalallokation zwei etabliert: Der Dialog mit den Unternehmen und die aktive Ausübung der Stimmrechte. Das Ziel besteht bei diesen Impact-Strategien in der Transformation von Unternehmen hin zu nachhaltigeren Geschäftsmodellen und -prozessen. So könnte das Ziel eines Unternehmensdialogs die Forderung sein, Nachhaltigkeitsmessung im Unternehmen überhaupt erst einzuführen.

Wie sind Ihre Erfahrungen mit Dialog bzw. Engagement? Die Finanzwissenschaftler Kölbl, Heeb, Pätzold und Busch haben in einer Studie einige Erfolgsbedingungen für Engagement genannt: Kosten, Investor-Einfluss, ESG-Erfahrung …

AH: … Sie beziehen sich auf die Studie „Can Sustainable Investing Save the World?“ – ja, diese Studie bestätigt im Wesentlichen das, was wir aus unserer eigenen Erfahrung kennen. Mit steigenden Kosten eines Transformationsziels nimmt die Bereitschaft einer Umsetzung tendenziell ab. Im Dialog mit der Unternehmensleitung hilft ein Hebel, ein Schwungrad. Großanleger sind hier im Vorteil, insbesondere erhöht jedoch ein kooperatives Engagement von Investoren die Erfolgswahrscheinlichkeit. Auch haben wir festgestellt, dass eine hohe Glaubwürdigkeit des Investors im Dialog von Vorteil ist. Schließlich beeinflussen auch die kulturelle und regionale Nähe zwischen Investor und Unternehmen, genauso wie die Nachhaltigkeit des Unternehmens, die Erfolgsaussichten positiv.

Verleiht Ihnen die evangelische Wertebasis eine hohe Glaubwürdigkeit als nachhaltiger Investor? Und ist das ein Faktor, der für Ihre Engagements von Vorteil ist?

AH: Ja, das kann man sagen. Bei Dialogen ist es immer unser Ziel, eigene inhaltliche Schwerpunkte zu setzen und diesen Vorteil zu nutzen. Aber wir haben bei unseren kollaborativen Engagements, insbesondere mit dem Arbeitskreis der kirchlichen Investoren, sehr positive Erfahrungen gemacht. Der kirchliche Hintergrund und unsere Reputation als führender nachhaltiger Asset-Manager im deutschsprachigen Raum kommen hier schon zum Tragen.   

Welche Impacts, welche Wirkungen stehen für Sie überhaupt im Vordergrund?

AH: Wir haben zwei international anerkannte Rahmenwerke, über die wir unsere Impact-Ziele definieren: das Pariser Abkommen zur Begrenzung der Erwärmung der Erdatmosphäre und die Sustainable Development Goals (SDG) der UN.

Zur Messung der Klima-Wirkung schauen wir hauptsächlich auf die CO2-Emission und den CO2-Fußabdruck von Unternehmen. Wir verwenden zudem einen Temperaturscore; der ist im Detail zwar kompliziert, aber einfach gesagt ermöglicht er es, das Portfolio am 1,5 Grad-Ziel auszurichten.

Die SDG sind die 17 Ziele für Nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Jedes Unternehmen wird im Hinblick auf die Umsetzung dieser 17 Ziele einzeln bewertet, wobei sowohl die Wirkung von Produkten und Dienstleistungen als auch die allgemeinen Geschäftsaktivitäten von Unternehmen im Hinblick der SDG bewertet werden.

Nachhaltige Anleger wollen doch wohl überwiegend Impact erzielen. Wie informieren Sie Anleger so, dass sie sich kein falsches Bild von ihrer Geldanlage machen?

AH: Uns ist Transparenz sehr wichtig. Investoren erhalten quartalsweise einen ca. 30-seitigen ESG-Report. Da sind alle Kennzahlen verzeichnet, die für Investoren notwendig sind, um die Nachhaltigkeitsrisiken und -chancen von Unternehmen oder Staaten einschätzen zu können. Wir verzeichnen hier auch Kontroversen, Verstöße gegen Normen, Wirkungskennzahlen usw.

Darüber hinaus präsentieren wir in Factsheets eine etwas kürzere Variante, da werden dann die 30 Seiten auf vielleicht 3 Seiten komprimiert und unseren Investoren öffentlich auf unserer Website zur Verfügung gestellt. Zusätzlich erstellen wir jährlich einen Engagement-Report, der die wichtigsten Aktivitäten zu unseren Nachhaltigkeitsdialogen offenlegt.

Überfordern Regulierungen, Taxonomien und Transparenzvorgaben die Anleger nicht? Wir wollen es doch meist möglichst einfach haben.

AH: Wenn nachhaltige Geldanlage Wirkung erzielen soll, sind Regulierungen grundsätzlich nicht verkehrt. Eine Taxonomie, die auf klare Definitionen, Einheitlichkeit und Vergleichbarkeit zielt, ist ein sehr begrüßenswerter Ansatz. Auch ist für uns Transparenz sehr wichtig. Es ist aber richtig, dass das Komplexitätsniveau dadurch erhöht wird. Man benötigt neben der komplexen Darstellung auch einfachere Schemata, um sich schnell orientieren zu können. Nur dann kann die Regulierung ihre volle Wirkung entfalten.

Also zum Beispiel die Unterscheidung von Artikel-8- und Artikel-9-Fonds?

AH: Wir sind überhaupt nicht glücklich darüber, dass sich aus dieser technischen Definition einer Offenlegungsverordnung schnell ein gängiges Label entwickelt hat. Denn nur ein Bruchteil der Artikel-9-Fonds genügt Impact-Standards. Eine Studie von Lisa Scheitza, Timo Busch und Johannes Metzler schätzt den Anteil der Impact-Fonds auf ein Drittel der Artikel-9-Fonds. Außerdem kann man mit Artikel 9 transformative Investments nur unzureichend erfassen. Wer in braune Unternehmen investiert, damit diese grün werden, fällt nicht unter Artikel 9, obwohl der Impact sehr groß sein kann. Also Einfachheit ja, aber sie muss sachadäquat sein und darf keine falschen Vorstellungen fördern. Wir unterscheiden deshalb auf Basis der Ergebnisse des eingangs genannten Forschungsprojekts zwischen Responsible-Produkten, also hellgrünen Investments, und Impact-Produkten, also dunkelgrünen Investments.

Eine letzte Frage: Was ist das spezifische Evangelische der nachhaltigen Geldanlage der Evangelischen Bank?

AH: Grundlage unseres Nachhaltigkeitsansatzes ist das christlich-evangelische Werteverständnis. Eine anwendungsbezogene Übersetzung dieses Werteverständnisses für die Anlagepraxis bietet der knapp 100-seitige „Leitfaden für ethisch-nachhaltiges Investment in der evangelischen Kirche“ des AKI. Der AKI ist der „Arbeitskreis Kirchlicher Investoren“ der evangelischen Kirche. Wir sind Mitglied in diesem Arbeitskreis. Der Leitfaden interpretiert das christliche Werteverständnis in drei Dimensionen: Geldanlagen sollen unter Berücksichtigung christlicher Werte sozialverträglich, ökologisch und generationengerecht sein. Das christliche Werteverständnis konkretisiert sich somit nicht nur in unseren Ausschlusskriterien, sondern auch in der ESG-Integration und im wirkungsorientierten Investieren.