Ratschläge von Herrn Lehmann

Dieter Lehmann steuert seit Jahren das Vermögen der Volkswagenstiftung mit beachtlichem Erfolg. Zuletzt, also 2019, haben er und sein Team eine Performance für den Gesamtvermögensbestand (also inkl. der illiquiden Teile) von fast 17 Prozent erzielt. Wir wollten von Lehmann wissen, was er von Stiftungsfonds hält und welche Tipps er für die Vermögensanlage kleinerer und mittlerer Stiftungen parat hat.  

RenditeWerk: Raten Sie kleineren Stiftungen zur Investition in Stiftungsfonds?

Dieter Lehmann: Zunächst muss man sich fragen, was Stiftungsfonds ausmacht. Viele Produkte, die sich Stiftungsfonds nennen, tragen diesen Namensteil meines Erachtens, weil er sich gut vermarkten lässt. Es kommt jedoch darauf an, ob diese Produkte tatsächlich so geschneidert worden sind, dass sie die Ziele der Vermögensanlage einer Stiftung auch gut bedienen können.

RW: Warum ist die VW-Stiftung nicht in einem Stiftungsfonds investiert?

DL: Um die Ziele der Stiftung zu erfüllen, nämlich möglichst stabile Erträge zu erwirtschaften, den realen Kapitalerhalt zu sichern und die laufenden Geschäftskosten abzudecken, investieren wir in mehr als ein Produkt. Wenn Sie so wollen, stellen wir uns mit unserem Gesamtportfolio unseren eigenen Stiftungsfonds zusammen.

RW: Wie müsste ein Stiftungsfonds konzeptioniert sein, dass Sie ihn kleineren und mittleren Stiftungen empfehlen könnten?

DL:  Er muss die drei genannten Ziele Kapitalerhalt sowie die Erwirtschaftung angemessener ordentlicher Erträge zur Verwirklichung des Stiftungszwecks und zur Deckung des Verwaltungsaufwandes erfüllen. Das bedeutet z.B., dass der Fonds nicht ausschließlich thesaurierend arbeitet, sondern auch eine angemessene Ausschüttung ordentlicher Erträge vorsieht. Das sollte man aus den Anlagerichtlinien des Fonds entnehmen können. Und auch die hoffentlich existierenden Anlagerichtlinien der Stiftung müssen u.a. die Vermögensanlage in Fonds grundsätzlich erlauben.

RW: Sie meinen so etwas wie einen 70prozentigen Mindest-Anleihenanteil?

DL: Das galt früher einmal. Angesichts der Marktveränderungen – Stichwort Niedrigzinsphase – kann man Stiftungen heute allerdings kaum empfehlen, 70 Prozent des Vermögens in Anleihen zu halten. Bei den Bonitätsabschlägen, die man in Kauf nehmen muss, um damit eine hinreichende Verzinsung zu gewährleisten, scheinen mir die Ausfallrisiken im Verhältnis dazu heute insgesamt viel zu hoch zu sein.

RW: Was empfehlen Sie Stiftungen und Stiftungsfonds für eine Vermögensmischung?

DL: Es sollte auf jeden Fall die Möglichkeit gegeben sein, mehr sachwertorientierte Erträge, also Dividenden oder Mieten zu vereinnahmen. Ich würde den Anteil von Immobilien und Aktien auf mindestens 50 Prozent erhöhen, aber auch höhere Quoten durchaus zulassen.

RW: Empfehlen Sie bestimmte Immobilieninvestments? Wie groß ist die Blasengefahr auf diesen Märkten?

DL: Abgesehen vom Markt für Einfamilienhäusern, bei denen die Nullzinsen zu einer hohen Verschuldungsquote und auch zu hohen Preisen geführt haben, sehe ich keine Blase am Immobilienmarkt. Im Übrigen, bei genügend langen Anlagehorizonten, und die Stiftungen haben einen unendlichen, hat die Vergangenheit gezeigt, dass vor allem 1A-Lagen zwar natürlich auch Wertschwankungen ausgesetzt waren, im langfristigen Trend, und damit meine ich Zeitspannen von wenigstens 20 – 30 Jahren, aber einen deutlichen Wertzuwachs erlebt haben, wenn sie gut gepflegt wurden. Ich zeichne zur Verdeutlichung dieser Überlegung immer gerne das folgende Bild: Wenn Sie in den 1980er Jahren ein Bürohaus in zentraler Lage der Düsseldorfer Königsallee gekauft haben, erschien Ihnen diese Immobilie damals sicher auch als sehr teuer und deshalb vermeintlich wenig rentabel. Heute ist dasselbe Objekt ein Vielfaches wert. Und ich halte jede Wette, dass in weiteren 30 Jahren der Kaufpreis um ein weiteres Vielfaches angestiegen sein wird. Hinzu kommt, dass Sie in dieser Lage über die gesamte Zeit mit einem hohen Vermietungsstand rechnen können, egal, in welchem wirtschaftlichen Zustand sich das Land befindet. Beide Annahmen treffen auf 1-B- oder gar C- Lagen in dieser Stringenz eher nicht zu.    

RW: Wir empfehlen in diesem Zusammenhang offene Immobilienfonds, weil der gutachterlich festgelegte Wert der Anteile weniger schwankungsintensiv und eher vorsichtig ausgeprägt sein sollte.

DL: Ja, offene Immobilienfonds mit der richtigen Fokussierung haben etwas für sich. Aber auch hier ist es unerlässlich, sich zunächst mit dem Fondskonzept genau auseinanderzusetzen und zu überlegen, ob dieses auch tatsächlich zu meinen Anlagevorstellungen passt. In der heutigen Zeit sind auch die Vorschriften für die Liquiditätshaltung eines Immobilienfonds zu beachten.

RW: Kommen wir zur Aktienseite. Sollten Stiftungen und Stiftungsfonds sich auf dividendenstarke Titel konzentrieren?

DL: Wenn es um den Ersatz von Zinserträgen durch Dividendenerträge geht, ja. Mit wenigen Titeln, etwa aus dem DAX, lässt sich eine erstaunlich hohe und relativ stabile durchschnittliche Dividendenrendite zwischen 3,5 und 5 Prozent über die vergangenen Jahre realisieren. Ich halte in dem Zusammenhang auch die Angst vor einer zu starken Schwankung der Aktie für überzogen. Zwischenzeitliche Schwankungen sind für eine auf ewig angelegte Stiftung aus meiner Sicht nicht von vorrangiger Bedeutung. Verluste entstehen nicht durch Wertschwankungen, sondern erst dann, wenn ich die Titel auf einem niedrigeren Kursniveau verkaufe und die Möglichkeit der Wertaufholung damit aufgebe. Umgekehrt wird in Deutschland das Ausfallrisko von verzinslichen Anleihen systematisch unterschätzt, weil verzinsliche Wertpapiere per se als sicherer Anlagehafen angesehen werden. Im Bestreben, noch wenigstens ein bisschen Zinsertrag zu erzielen, werden die Bonitätsanforderungen immer weiter gesenkt oder es werden sogar hochspekulative Anleihen erworben, die gar kein Rating mehr haben. Das Ausfallrisiko bei Renten ist für eine Stiftung jedoch weitaus gefährlicher als das Volatilitätsrisiko bei Aktien. Denn bei einer ausgefallenen Anleihe gibt es keine Chance mehr auf eine Werterholung. Das Geld ist dann unwiederbringlich verloren.        

RW: Sollten Stiftungen für die stärker als Zinsen schwankenden Dividenden irgendeine Art von Reserve anlegen, um einen stabilen Ertragsverlauf zu bekommen?  Ist die Ausschüttungsreserve ein Kriterium für Stiftungsfonds?

DL:  Wirklich gute Aktien haben erstaunlich stabile Ausschüttungen. Ich würde die Frage aber anders stellen bzw. beantworten: Eine Stiftung sollte nur vollständig durchfinanzierte Projekte bewilligen. Das heißt, dass mit der Bewilligung der gesamte Förderbetrag bereits verdient sein und quasi in der Stiftungskasse zur Abrufung bereitliegen sollte. Nur so macht man sich unabhängig von eventuellen künftigen Ertragsschwankungen. So aufgestellt vermeidet man das Problem grundsätzlich, welches ja auch im Rentenbereich begründet werden kann, etwa durch die Wiederanlage endfällig gewordener Mittel zu einem dann niedrigeren Zinsniveau. 

RW: Warum ist in Deutschland eigentlich keine Nutzung der Aktienkursgewinne für den Stiftungszweck möglich?

DL: Realisierte Kursgewinne, so auch die aus dem Aktienbereich, fließen in die Umschichtungsrücklage, werden so zum Kapitalbestandteil und stehen der Zweckverwirklichung im Grundsatz eigentlich nicht mehr zur Verfügung. Allerdings gibt es hierzu in Deutschland durchaus unterschiedliche Rechtsauffassungen, die auch die Rücklagen nach § 62 der Abgabenordnung einschließen. Letztendlich dienen beide Rücklagen der (realen) Kapitalerhaltung. Was passiert aber, wenn diese als nachhaltig erfüllt angesehen werden kann? In jedem Fall ist bei dieser Frage eine enge Abstimmung mit dem zuständigen Finanzamt bzw. der jeweiligen Stiftungsaufsicht empfehlenswert.  

RW: Wir haben bislang nur von Aktien und Immobilien als Investments gesprochen. Kann man kleinen Stiftungen eigentlich auch zu unternehmerischen Beteiligungen, etwa zur Betreibung eines Solarparks oder eines Flugzeugfonds, raten?

DL: Grundsätzlich würde ich nichts ausschließen. Allerdings sollten Stiftungen den  dabei möglicherweise entstehenden Steuertatbestand einer gewerblichen Beteiligung oder gewerblich geprägter Erträge berücksichtigen. Beides kann bei einer gemeinnützigen Einrichtung zu einem zumindest partiellen Verlust der Steuerbefreiung führen.     

RW: Mit Blick auf das Gebot des ungeschmälerten Kapitalerhalts loben wir Stiftungen für ein aktives Risikomanagement, etwa mit einer Risikobudgetierung.  

DL: Das muss jeder Anleger mit seinem individuellen Risikoempfinden ausmachen. Ich selbst halte davon eher wenig.

RW: Aber was ist mit dem Gebot des ungeschmälerten Kapitalerhalts?

DL: Solange ich meine Aktien nicht verkaufe, realisiere ich auch keine Verluste und bewahre mir die Chance auf Wertaufholung, wenn sie zuvor einen Kurswertrückgang zu verzeichnen hatten. Die Frage sollten Sie eher mit Blick auf die zunehmend ausfallgefährdeten Zinstitel fokussieren.

RW: Wie reagiert ein Stiftungsvorstand, der eine Abrechnung bekommt, auf der der Buchwert seiner Aktien um 30 Prozent gesunken ist?

DL: Dann muss er sich die Frage stellen, wo die Gründe hierfür liegen. Liegt es am Unternehmen selbst, ist dieses konkursgefährdet? Dann stellt sich dieselbe Frage wie bei Anleihen mit niedriger Bonität und somit erhöhtem Ausfallrisiko. Oder liegt es an einer allgemeinen Aktienmarktkrise, wie etwa zur Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise 2008? Dann schauen Sie sich am besten an, wie lange es dauerte, bis die Ausgangskursniveaus im Durchschnitt wieder erreicht waren. Bei besagter Krise war das 2011/12 der Fall, also nach ungefähr 4 Jahren. Ist das ein für eine auf ewig ausgerichtete Stiftung relevanter Zeitraum? Alle, die nach dem damals gut 40%igen Kursrückgang ihre Aktien in Sorge verkauft haben, und das waren nicht wenige, haben sehr viel Geld verloren. Alle, die in den Anlagen geblieben sind, nicht. Ein professioneller Anleger muss vor allem auch einen kühlen Kopf bewahren. Markterfahrung ist dabei extrem wertvoll. Wer diese noch nicht hat, sollte sich mit vergleichbaren Krisenfällen der jüngeren Vergangenheit beschäftigen. Z.B. mit dem Platzen der New Economy-Blase um die Jahrtausendwende oder auch mit dem Herbst 2018. Schauen Sie nach, wie lange es gedauert hat, bis die Märkte sich wieder vollständig erholt hatten. Und nochmal: Unterschätzen Sie die Ausfallrisiken im Bondbereich nicht. Die sind sehr viel bedeutender!

RW: Kommen wir zu den Kosten. Spielen die heute eine wichtigere Rolle als früher?

DL: Wenn die Erträge weniger üppig ausfallen, machen sich die Kosten natürlich deutlicher bemerkbar. Stiftungen sollten deshalb überlegen, ob sie passiven Produkten wie z.B. kostengünstigeren ETFs, den Vorzug geben.

RW: Aber dann muss jemand den Einsatz dieser Instrumente überwachen, stoppen oder neu initiieren. Ist da in jeder Stiftung Kompetenz vorhanden?

DL: Das gilt ja für jede andere Vermögensanlage, die eine Stiftung eingehen will, auch. Wenn das Know How hierfür fehlt, muss man Beratungsleistungen, etwa die der Hausbank, in Anspruch nehmen. An sich wie jede Privatperson auch.        

RW: Zum letzten Punkt: Sollten Stiftungen, Stiftungsfonds, nachhaltig anlegen?   

DL: Die früher häufig anzutreffende These, dass nachhaltiges Investieren grundsätzlich mit Renditeverzicht einhergeht, ist mittlerweile aufgrund der über Jahre erwirtschafteten Ergebnisse vieler nachhaltig investierender Fonds belastbar widerlegt. Insofern spricht überhaupt nichts dagegen, wenn man mit der Vermögensanlage der Stiftung auch einen entsprechenden Beitrag leisten möchte, ganz im Gegenteil.