Nächstes Jahr 300 Euro mehr für Benzin, Strom, Heizöl und Gas
Dieter Wermuth, Economist und Partner bei Wermuth Asset Management
Es ist eine Rechnung, die auf Annahmen beruht, die jede für sich angreifbar sind. Deswegen halten sich die vielen deutschen Lehrstühle für Finanz- und Steuerpolitik bei dem Thema auch auffallend zurück. Mit Spekulationen lassen sich keine Lorbeeren ernten. Aber es hilft nichts: Mindestens müssen die Politiker, die über unsere Finanzen mitentscheiden, wissen was die Größenordnungen sind.
Erstens unterstelle ich hier, dass die heutigen Haushaltspreise für Strom, Gas, Heizöl und Sprit im gesamten Jahr 2023 so hoch sein werden wie heute, zweitens, dass sich die Einkommen und Konsumausgaben insgesamt in Reaktion auf die Preissignale nicht ändern werden, und drittens, dass das verfügbare monatliche Einkommen im arithmetischen Durchschnitt bei 4.435 Euro pro Haushalt liegen wird.
Wenn die mengenmäßige Struktur der Energieausgaben unverändert bleibt (ebenfalls eine heroische Annahme), schätze ich, dass die 41 Millionen deutschen Haushalte 2023 zusammen in etwa 130 Prozent mehr für Energie ausgeben werden als vor COVID und vor dem Ukrainekrieg. Das sind etwa 310 Euro pro Monat und der Betrag, den Haushalte im Durchschnitt weniger für andere Konsumausgaben und für Ersparnisse übrighaben werden. Es droht eine Rezession.
Der sozialpolitisch relevantere Medianhaushalt, der in der Einkommensverteilung genau in der Mitte zwischen der oberen und unteren Hälfte der Einkommensbezieher steht, und schätzungsweise über ein Einkommen von 3.220 Euro im Monat verfügen wird, kann mit Mehrausgaben für Energie von 225 Euro pro Monat rechnen. Das birgt sozialen Sprengstoff.
Die ärmeren Haushalte, die schon jetzt kaum über die Runden kommen, werden einen Einkommensschock erleiden. So wie vorgestern in Prag muss damit gerechnet werden, dass es zu Massendemonstrationen kommt. Die Tschechen sind genauso wie die Deutschen von der Explosion der Energiepreise betroffen, nur ist ihr Durchschnittseinkommen viel niedriger, schätzungsweise 2.300 Euro im Monat. Überall in Europa sind sich die Politiker sehr bewusst, dass sie es mit einem existenziellen Risiko für den Staat zu tun haben und es darauf ankommt, unzumutbare Härten durch sozialpolitische Maßnahmen und eine neue Einkommensverteilung abzumildern.
So entschlossen, so rasch und so großzügig wie nur selten haben sie inzwischen ihre Prioritäten angepasst, um das Schlimmste zu verhindern. Glücklicherweise ist der finanzielle Spielraum zumindest hierzulande noch beachtlich. Wenn der gesellschaftliche Zusammenhalt gefährdet ist, darf der Staat neue Schulden machen. Es handelt sich letztlich um Ausgaben für die Zukunft und ist vergleichbar mit zusätzlichen Ausgaben für die militärische Sicherheit angesichts der Bedrohung durch Russland.
Ein Gutes hat die Krise. Sie wird zu einem starken Rückgang der CO2-Emissionen führen und damit entscheidend dazu beitragen, die ständig ehrgeizigeren Klimaziele zu erreichen. Während sich eine hohe und daher wirksame CO2-Steuer politisch bislang nur schwer durchsetzen lässt, ist sie durch die Hintertür der russischen Invasion in der Ukraine auf einmal Realität.
Wenn ich zum Schluss noch einmal eine kühne Prognose wagen darf: Wenn der Preis fossiler Energie um 10 Prozent steigt, sinkt der CO2-Ausstoß um 2 Prozent. Ökonomen sagen, dass die Nachfrage nach Strom, Gas und Sprit preiselastisch ist. Heißt konkret: Der Anstieg der Preise für fossile Energie um 130 Prozent, mit dem ich operiere, senkt den CO2-Ausstoß um 26 Prozent im Vergleich zum Jahr 2019, auf 523 Mio. Tonnen. Als der Euro 1999 eingeführt wurde, waren es noch 895 Mio. Tonnen.
Es wird nun darauf ankommen, die Preise für den Endverbrauch fossiler Energie hochzuhalten, wenn die Weltmarktpreise im Verlauf der kommenden Rezession wieder deutlich sinken. Ich hoffe, dass die EU das zu einem gemeinsamen Projekt macht. Wer ein hohes Einkommen hat und damit in der Regel besonders klimaschädlich lebt, sollte weiterhin viel für Energie zahlen. Klingt fair, oder?