Nachhaltigkeitsanalyse – quo vadis

Prof. Volkmar Liebig war Geschäftsführer des Berliner Analysehauses Sustainability Intelligence.

von Prof. Volkmar Liebig, Ulm

Wenn ein Begriff ein Allerweltswort geworden ist und als Synonym für Alles und Jedes verwendet wird, ist Vorsicht geboten. Vieles wird geradezu inflationär als nachhaltig deklariert: Der Anbau von Nahrungsmitteln, die Plantagenbewirtschaftung, der Abbau von Rohstoffen (sic!), jedwede Erneuerbarkeit und natürlich alles, was nachwächst oder recycelt werden kann. Aber auch Bautätigkeiten, Geschäftsmodelle, politische Entscheidungen, soziale Vereinbarungen oder Gefühle – kurzum: Es kann letztlich alles nachhaltig sein! Selbstverständlich hat auch die Finanzindustrie diese Thematik als Trend begriffen, ist auf die Nachhaltigkeit gesprungen und unternimmt den legitimen Versuch, den Begriff Nachhaltigkeit als Wettbewerbsvorteil zu nutzen. Welche wahren Interessen und Motive stecken dahinter, wenn ein Assetmanager nachhaltige Geldanlagen empfiehlt? Ist es persönliche Überzeugung? Oder ist es der Handlungsdruck, der durch die Aussagen in der Werbebroschüre entstanden ist? Sind es die regulatorischen Vorgaben, durch die er gezwungen ist, auch als nachhaltig deklarierte Geldanlagen zu offerieren? Oder hat er vielleicht eine Tochter, die sich bei Fridays for Future engagiert und sich dadurch für die Diskussion am Küchentisch Argumente parat hält? Was sind also die Leitmotive, dass von professioneller Seite auch nachhaltig investiert wird? Und vor allem: Was weiß ein Anlageberater über Nachhaltigkeit?

Fragen über Fragen. Wieso eine Geldanlage nachhaltig sein kann, muss man sich zunächst einmal vorstellen können. Entweder wird das Geld direkt in Projekte oder Beteiligungen investiert oder indirekt in Aktien, Fonds, ETFs oder Anleihen gelenkt. Die Nachhaltigkeit der jeweiligen Anlagemöglichkeit muss durch eine Analyse ermittelt und das Ergebnis bestenfalls durch ein Rating, Zertifikat oder Gütesiegel dargestellt werden. Nun ist Nachhaltigkeit nicht eindeutig definiert, sodass wegen des unterschiedlichen Begriffsverständnisses sich sehr unterschiedliche Resultate ergeben. Diese Beliebigkeit, aber auch Willkür, führen zur Irritation von Investoren und limitieren damit den Prozess der Investitionen in tatsächliche Nachhaltigkeit. Einfaches Vorgehen wie Ausschluss von Themen, wie etwa fossile Energie oder Rüstungsgüter, führt nicht zum Ziel. Wie kann man also beurteilen, dass ein als nachhaltig bezeichnetes Investment tatsächlich eine beabsichtigte, positive nachhaltige Wirkung hat?

Investitionen in Nachhaltigkeit sollen Impact erzeugen, also letztlich gesellschaftliche Veränderungen bewirken. Diese Veränderungen vollziehen sich grundsätzlich langsam in größeren Zeitabschnitten. Kurzfristige materielle Erfolge in Form von Renditen lassen sich daraus beim besten Willen nicht ableiten. Umdenken und Verhaltensveränderungen in einer Gesellschaft, notwendig allein um die ökologische Basis des Anthropozäns zu erhalten, schaffen maximal mittelfristig die Grundlagen für noch zu entwickelnde Geschäftsmodelle. Diese können ökonomisch recht erfolgreich und für Investoren attraktiv sein. Damit ist der Weg für die Nachhaltigkeitsanalyse für Geldanlagen vorgezeichnet: Die Finanzindustrie denkt – von der Liquidität abgesehen – in Rendite und Risiko. Renditeansprüche können unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bei dieser Perspektive nicht punkten. Und aus theoretischer Sicht hat die Finanzindustrie den Risikoaspekt ohnehin falsch behandelt: Bei einem Risiko sind alle künftigen Ereignisse und deren Wahrscheinlichkeit bekannt, sodass es messbar und berechenbar ist. In Wahrheit handelt es sich bei Investitionen aber um Unsicherheit, weil zahlreiche potenzielle Ereignisse eintreten können und die Datenverfügbarkeit gering ist. Weil aber ein Investor nicht unsicher sein will, glaubt er lieber an ein unter Unsicherheit ermitteltes Risiko. Die nächste Generation der Nachhaltigkeitsanalyse, allen inzwischen etablierten Nachhaltigkeitsratings zum Trotz, wird die Würdigung der Nachhaltigkeit einer Geldanlage unter langfristigen Aspekten betrachten müssen. Die Investoren werden lernen müssen, was nachhaltig handeln bedeutet. Jeder Waldbesitzer weiß, dass wenn er Fichten pflanzt, er selbst noch ernten kann, falls er Eichen pflanzt, denkt er an die Enkelgeneration. Nachhaltige Investitionen müssen zeigen, dass sie „enkelfähig“ sind – ansonsten wirkt nachhaltig investieren wie eine Floskel.