Nachhaltigkeit unterschreiben und alles gut?

Untersuchungen zum nachhaltigen und finanziellen Impact, den die Unterzeichner der Principles of Responsible Investment bewirken.

Immer mehr Asset Manager vermelden nicht ohne Stolz, die Principles of Responsible Investment (PRI) unterzeichnet zu haben, die den UN-Nachhaltigkeitszielen verpflichtet sind. Im Folgenden stellen wir einige Ergebnisse von neueren Studien vor, die die Wirkungen dieser Unterschriften auf ESG- und auch Finanzziele untersuchten. 

Basis ist ein Literaturüberblick über „ESG and Responsible Institutional Investing Around the World“ von Pedro Matos (Link am Ende des Artikels). Wir beschränken uns dabei auf Aspekte rund um PRI, zu denen Matos selber forscht.  

Institutionelle Investoren sind in den letzten Jahrzehnten in der Welt der Geldanlage noch wichtiger geworden als sie zuvor schon waren. Ende 2017 kontrollierten sie global über 40 Prozent der öffentlich gehandelten Aktien; in den USA waren es 79 Prozent, in UK 63 Prozent. Institutionelle Investoren bilden auch die Avantgarde der nachhaltigen Geldanlage. Und sie können dabei auch viel wirkungsvoller den G-Kanal nutzen als etwa Privatanleger.

Das unterschätzte G bei ESG

ESG bedeutet Environment (Umwelt), Social (Soziales) und Governance („Führung“). Bei Unternehmen wird G als Corporate Governance („Unternehmensführung“) bezeichnet. Man könnte sich nun fragen, ob G für die Nachhaltigkeit eines Unternehmens wirklich so bedeutsam ist wie E oder auch S. Reichten nicht auch ES-Kriterien? Zumal sich G ebenso auf soziale Strukturen und Prozesse bezieht wie S.

Bei Staaten leuchtet die Wertigkeit von G schneller ein. Hier bezieht sich G auf das politisch-rechtliche System und den Regierungsapparat. Dieser Themenkomplex ist in der öffentlichen Kommunikation dauerpräsent und moralisch stark besetzt. Für ethische Investoren, die in Staatsanleihen anlegen, steht daher G als wesentlicher Bewertungspunkt außer Frage.

Dass G für die Nachhaltigkeit von Unternehmen gleichfalls unverzichtbar ist, zeigten nicht zuletzt die sogenannten Dieselskandale, die Beobachter auf Defizite der Corporate Governance zurückführten. Und generell gilt auch hier: über unternehmerische ESG-Ziele und -Strategien entscheidet letztlich die Unternehmensführung, die in eine weitere Kontroll-Struktur eingebettet ist – und das ist G. Insbesondere ist G für Anteilseigner mit Nachhaltigkeitszielen ein privilegierter Wirkungskanal, den Nichtaktionäre so nicht nutzen können. Das Stichwort lautet: „aktivistische Investoren“.

Aktivistische Investoren

Investoren legen „aktiv“ oder „passiv“ an. D.h. sie weichen von einem Marktindex (aktiv) ab, um möglichst besser zu sein als dieser. Oder sie versuchen, den Index (passiv) nur nachzubilden. Als Investoren können sie sich aber auch aktiv oder passiv gegenüber Unternehmensentscheidungen verhalten. Zwar kann eine Einflussnahme auf Unternehmen über viele Kanäle erfolgen. Man braucht kein aktivistischer Investor eines Energieversorgers zu sein, um als Aktivist einen Kühlturm zu besteigen und dort ein Transparent mit Ausstiegsforderungen zu entfalten. Aber Shareholder können für ähnliche Forderungen auch den G-Kanal nutzen. Nur prägte den Shareholder-Aktivismus bisher eine andere Spezies: die Gruppe der Hedge Fonds. Diesen geht es dabei um die Durchsetzung der eigenen (Shareholder-)Interessen. Das ergibt dann ein Maximum des Aktiven: Der Aktivismus als Investor über G wird bei Hedge Fonds zur Erfolgs-Basis des eigenen aktiven Investierens. Aktivistische ESG-Investoren mögen ähnliche Mittel wie Hedge Fonds anwenden und von ihnen lernen. Aber ihre Ziele sind eben andere. Sie unterscheiden sich gleichfalls von „passivistischen“ ESG-Investoren, die sich lediglich damit zufrieden geben, in einem nachhaltigen Unternehmen investiert zu sein. Im Unterschied dazu wollen „aktivistische“ ESG-Investoren nachhaltigen Impact über den G-Kanal erzielen.

Wandel der Corporate-Governance-Strukturen

Für die Governance-Struktur eines Unternehmens ist die Schnittstelle zum Finanzmarkt zentral, also das Verhältnis von Kapitalgebern oder Eignern zur Unternehmensführung. Auch Pedro Matos konstatiert in seinem Literaturüberblick wie viele andere Wissenschaftler und Marktbeobachter, dass sich diese G-Strukturen in den letzten Jahrzehnten gewandelt haben. Er hebt drei strukturelle Veränderungen besonders hervor.

Erstens hätten in den USA Großinvestoren massiv an Gewicht gewonnen. Als Beispiel führt er die Big Three der Vermögensverwaltung (BlackRock, Vanguard, State Street) an, die in den USA etwa ein Viertel der öffentlich gehandelten Aktien halten. Damit habe aber auch die Konzentration von Entscheidungen in einer „Hand“ und die Chance einer effektiven Einflussnahme auf Unternehmen zugenommen.

Zweitens sei es in den 2000er Jahren Hedgefonds durchaus gelungen, den Wert von Unternehmen im intendierten Sinne zu verändern. Daraus leitet Matos generell ab, dass sich die Impact-Chancen aktivistischer Investoren in den letzten beiden Jahrzehnten erhöhten.

Drittens stellt Matos fest, dass sich die Governance-Strukturen weltweit denen der USA angenähert haben oder sich zumindest in gleicher Richtung veränderten. Treibende Kraft sei die forcierte globale Integration der Finanzmärkte gewesen. Denn die Diffusion des US-Modells sei vor allem auf international operierende Institutionelle Investoren zurückzuführen. Insbesondere hätten aktivistische Shareholder zur Ausbreitung des US-Modells beigetragen.

Das impliziert zugleich, dass die ersten beiden Punkte – also zunehmende Konzentration der Vermögen bei Großinvestoren und gestiegene Impact-Chancen für Hedgefonds bzw. aktivistische Investoren – im Trend auch für andere Regionen der Welt gelten. 

Institutionelle Investoren und RPI

Wenn die Macht und damit die Einflusschancen Institutioneller Investoren via G-Kanal auf Unternehmen gewachsen ist, sollte dies auch für den ESG-Bereich gelten. Um zu untersuchen, ob dies tatsächlich der Fall ist, hat Matos eine einflussreiche globale Initiative Institutioneller Investoren näher unter die Lupe genommen: die Unterzeichner der Principles for Responsible Investment. Die Teilnehmer an dieser 2006 gegründeten Investoreninitiative verpflichten sich per Unterschrift zu folgenden 6 Prinzipien: c) Inkorporation von ESG-Kriterien in den eigenen Investmentprozess; b) ESG-orientierte Politik im Stil aktiver Eigner; c) Hinwirken auf angemessene ESG-Transparenz; d) Förderung der PRI in der Investmentbranche; e) Kooperation der Unterzeichner bei Verfolgung der PRI-Ziele; f) Regelmäßige Reports zu eignen Aktivitäten und Fortschritten.

Die PRI haben bis Ende 2019 weltweit über 2500 Investoren (Investmentmanager, Eigner und Dienstleister) unterschrieben, die insgesamt mehr als 80 Billionen USD Vermögen managen. Darunter finden sich auch die großen Namen des Asset Managements. Zwar kommen mehr Unterzeichner aus Europa als aus Nordamerika, Letztere verwalten aber (mit 46 Billionen USD) deutlich mehr Vermögen als ihre europäischen Kollegen (32 Billionen USD). Die bereits erwähnte Konzentration wird auch hier deutlich: 82 Prozent des verwalteten Vermögens entfallen auf 10 Prozent der Investoren.

Drei RPI-Strategien Institutioneller Investoren

Matos unterscheidet, einer verbreiteten Differenzierung folgend, drei Strategien der RPI-Unterzeichner, ihre ESG-Ziele umzusetzen: Integration, Screening und Engagement.

Integration meint die Einbeziehung von ESG-Faktoren in die Finanzanalyse. ESG ist hier nicht die Zielgröße, sondern Mittel zum Finanzweck – also ein „Faktor“, der Ertrag und Risiko beeinflusst. Deshalb ist ESG-Integration auch dann möglich und zunehmend verbreitet, wenn gar kein Nachhaltigkeitsmandat vorliegt.

Screening ist die Auswahl von nachhaltigen Vermögenstiteln aus einem Anlageuniversum. Die Untergruppen, die Matos hier anführt, sind: Ausschlusskriterien, Best-in-Class-Ansätze, normbasiertes sowie thematisches Screening.

Engagement bezieht sich auf individuelle oder kollektive Aktivitäten von Investoren, ein Unternehmen davon zu überzeugen, die eigene ESG-Performance zu verbessern. Engagement meint üblicherweise einen fortgesetzten Dialog zwischen Investoren und Unternehmensleitung. Matos bezieht in seiner Definition auch internes „Voting“, also das Abstimmungsverhalten von Aktionären, mit ein. Engagement ist hier Oberbegriff für „aktivistische Investoren“ und beschreibt Impact-Versuche über den G-Kanal.

Matos gibt auch Zahlen zur Verteilung der drei Strategien auf die beiden Vermögensklassen Aktien und Anleihen an. Die dominanten Strategien der PRI-Unterzeichner im Aktiensegment sind Engagement (93%), ESG-Integration (87%) und negatives Screening (81%). Thematisches Screening ist demgegenüber eher noch ein Nischenmarkt (33%).

Im Rentensegment liegt Screening (84%) vor Integration (80%) und Themenscreening (33%).

Beim Screening waren regionale Unterschiede am stärksten ausgeprägt: Im Aktienbereich (Anleihen) wurde diese Strategie in Europa auf 81% (73%) des gemangten Vermögens angewandt, in Nordamerika wurden nur 32% (24%) einem Screening unterzogen.

Wirkung von PRI und einzelne Strategien

Wie gesagt: PRI ist eine Selbstverpflichtung, die auf Verbesserung der ESG-Werte – am besten erfasst durch ein Rating – zielt. Die Frage ist, ob damit auch die intendierte Wirkung erzielt wird. Der ging auch Matos mit Ko-Autoren in einer Studie nach (Im Folgenden: Gibson et al., Link am Ende des Artikels). Gibson et al. bezeichnen den messbaren Nachhaltigkeits-Impact der PRI-Verpflichtung als ESG-Fußabdruck. Um diesen zu ermitteln, wählten sie Institutionelle Investoren mit Aktienportfolios aus.

Die Portfolios der PRI-Unterzeichner hatten insgesamt eine bessere ESG-Performance als die Portfolios der Nichtunterzeichner. Aber der Unterschied war relativ gering. Der Haupteffekt ging auf G zurück: d.h. bessere Governance war in erster Linie für höhere ESG-Werte verantwortlich. Im Vergleich der Regionen schnitten europäische Investoren bei den ESG-Werten besser ab als die nordamerikanischen, Letztere waren aber bei den G-Werten vorne; die Autoren mutmaßen, dass die schlechteren ES-Werte in den USA regulatorische Ursachen haben könnten.

Gibson et al. gingen der ESG-Wirkung einer PRI-Unterschrift auch im Hinblick auf die drei praktizierten Strategien nach: die meisten Strategien der PRI-Unterzeichner führen jedoch zu keiner besseren Nachhaltigkeits-Performance. Allein für die Best-in-Class-Strategie fanden die Studienautoren einen statistisch signifikanten positiven Einfluss auf den ESG-Fußabdruck.

Schließlich untersuchten die Wissenschaftler auch die finanzspezifischen Effekte einer PRI-Unterschrift. Sie fanden Hinweise, dass die Erträge der Aktien-Portfolios der PRI-Unterzeichner etwas geringer sind und das Risiko leicht höher ist als in der Gruppe der Nichtunterzeichner. Allerdings bezieht sich dieses Ergebnis auf die Gesamtgruppe der PRI-Unterzeichner. Es könnte aber sein, dass manche Investoren eben nur ihre Unterschrift leisten oder Strategien unterschiedlichen Einfluss haben. Deshalb sahen sich Gibson et al. auch den Effekt einzelner Strategien auf die Aktienerträge näher an. Das Ergebnis: Die Strategien hatten zwar keinen Einfluss auf die Erträge. Aber die Strategien „negatives Screening“, „Engagement“ und „Integration“ reduzierten das Risiko der Aktien-Portfolios. Matos und Kollegen ziehen daraus den resümierenden Schluss, dass ESG-orientiertes Investieren ein Instrument der Risikominderung ist, keines der Erhöhung der Erträge.

Dieses Ergebnis erklärt auch den Sinn von „ESG-Integration“, selbst wenn damit keine Nachhaltigkeitsziele verfolgt werden. Die Analyse von ESG-Faktoren ermöglicht es, sonst unentdeckte Risiken zu erkennen und zu vermeiden. Das können dann etwa gerade jene Unternehmens-Risiken sein, die sich aus nicht- oder antinachhaltigem Verhalten ergeben – das Beispiel „Dieselskandal“ haben wir oben schon angesprochen.

Koordiniertes Engagement

Eine Studie von Dimson, Karakas und Li (Dimson et al., Link am Ende des Artikels) ging der Frage nach, wie sich die ESG-Substrategie des koordinierten Engagements auf Nachhaltigkeit und Finanzen auswirkt. Zielgruppe der Untersuchung waren PRI-Unterzeichner, die ES-Ziele (also ohne G) verfolgen. Die Autoren zeigen, dass insbesondere koordiniertes Engagement den erwünschten ES-Impact erzielt. Denn koordiniertes Engagement kann mehr Ressourcen effizienter und konzentrierter einsetzen als individuelles Agieren und zugleich die Risiken aufteilen. Dennoch gibt es bei Koordination ebenfalls Hürden, etwa Koordinationskosten oder regulatorische Hemmnisse. Und möglicherweise das notorische Trittbrettfahr-Problem. Die Studienautoren meinen jedoch, hier werde es bereits vorab durch Reputationsmotive der Investoren gelöst: Die Furcht, dass sich Passivität oder Pseudengagement über Reputationseinbußen auf den Zufluss von Kundengeldern negativ auswirken könnten, reiche bereits aus, um Kooperationsbereitschaft zu gewährleisten. Die PRI-Plattform gebe dieser nur noch eine stärkende organisatorische Form.

Den eigentlichen Schlüssel zum Erfolg bei Engagement im Hinblick auf ES-Ziele sehen die Autoren nicht in der Kooperation „an sich“, sondern in der Struktur der Kooperation. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ist deutlich höher, wenn es bei kooperativem Engagement führende Investoren und unterstützende Investoren gibt. Investoren, die sich führend engagieren, sind in der Regel größer (bezüglich AuM), sie halten größere Anteile am Unternehmen und haben daher auch mehr Mitsprachemöglichkeiten. Dimson et al. erkennen hier Parallelen zur Wolfsrudel-Strategie von Hedgefonds. Die Erfolgschancen für ES-Impacts erhöhen sich zudem, wenn Führungsinvestor und Zielfirma das gleiche kulturelle Hintergrundverständnis teilen (erleichtert Kooperation, es wirken die gleichen Reputationssignale). Ein ES-Impact ist also möglich, wenn das „Design“ des kollektiven Engagements stimmt.

Wie sieht es mit der Wirkung auf die Finanzperformance aus? Dimson et al. unterschieden zwischen Performance des Zielunternehmens des kollektiven Engagements und Performance der zugeordneten Aktien. Kollektives Engagement mit Führungsinvestor erhöhte die Finanzperformance des Zielunternehmens, Engagement ohne Führungsinvestor veränderte sie nicht. Bei erfolgreichem kollektivem Engagement (d.h. es wurden die ES-Ziele erreicht) erhöhten sich die Aktien-Erträge und die Volatilität verringerte sich. Scheiterte das Engagement, dann erfolgte keine Änderung.

Antwort auf die Eingangsfrage

Die Antwort auf die Eingangsfrage „Nachhaltigkeit unterschreiben – und alles gut?“ lautet „nein“. Es ist mehr Einsatz erforderlich als nur eine Unterschrift. Ist dieses Mehr wie oben beschrieben gegeben, dann bewirkt eine PRI-Unterschrift im Endeffekt doch einen Nachhaltigkeits-Impact. Und zudem einen Impact auf die Finanzerträge in Gestalt reduzierter Risiken.

Link zu: „ESG and Responsible Institutional Investing Around the World“

https://www.cfainstitute.org/-/media/documents/book/rf-lit-review/2020/rflr-esg-and-responsible-institutional-investing.ashx

Link zu: „Responsible Institutional Investing Around the World“

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3525530

Link zu: „Coordinated Engagements“

https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3209072