Nach dem Spiel ist vor dem Spiel!

Stiftungen legen falsch an. Ein Kommentar von Elmar Peine

Es ist eine Plattitüde. Stiftungen unterscheiden sich als auf die Ewigkeit angelegte Investoren grundsätzlich von den allermeisten privaten und institutionellen Anlegern. Zwischenzeitliche Schwankungen, die für Anleger bedrohlich sind, die ihr Vermögen zu einem Stichtag in den nächsten Monaten oder Jahren benötigen, sind demnach für Stiftungen vollkommen unerheblich. Damit ist eigentlich das, was üblicherweise als Risiko verstanden wird, die Schwankungsbreite der Wertpapiere (Volatilität), irrelevant. Stiftungen müssten sich also eigentlich, so sagen es auch Experten, nur auf die langfristige Durchschnittsrendite kaprizieren. Müssten und sollten … unglücklicherweise sind sie ganz anders unterwegs. Statt in vielleicht stark schwankende und illiquide, aber zu 100 Prozent seriöse und renditestarke und katastrophengeschützte Anlagen zu investieren, stecken sie das Geld der Spender in Vermögensklassen, die vergleichsweise schlecht rentieren, dafür aber wenig schwanken und jederzeit an der Börse zu verkaufen sind.  

Okay, das Gesetz verlangt den Kapitalerhalt des Stiftungskapitals. Viele Stiftungen deuten das als Verbot, innerhalb eines Jahres einen Verlust zu riskieren und in schwankungsanfällige Anlagen zu investieren. Andernfalls, so sehen es auch viele Aufsichten, ist nämlich die Anerkennung der Gemeinnützigkeit bedroht. Bonitätsstarke Anleihen als besonders schwankungsarme Anlagen erfüllen diese Bedingung am besten.

Der Stiftungszweck soll darüber hinaus „zeitnah“ und überwiegend aus den laufenden Einnahmen des Stiftungsvermögens erfüllt werden. Anstatt also die Wertentwicklung des Stiftungsvermögens in den Mittelpunkt zu stellen und durch Verkäufe einen Teil der Wertsteigerung des Vermögens für den Stiftungszweck einzusetzen, drängen Aufsichten und Berater mit Verweis auf Abgabenordnung, Handelsgesetzbuch und Steuervorschriften darauf, das Vermögen grundsätzlich mit dem (gemilderten) Niederstwertprinzip zu bewerten und lediglich die laufenden Erträge und Ausschüttungen für den Stiftungszweck zu verwenden. Laufende Erträge sind am stabilsten bei Anlagen in festverzinslichen Wertpapieren. Wieder ein Argument für Anleihen.

Die Gründe für Anleihen gefallen der Politik natürlich, schließlich finden ihre Staatsanleihen damit eine stabile Nachfrage. Stiftungen helfen, die Verschuldungskosten des Gemeinwesens im Zaum zu halten, der Staat finanziert im Umkehrschluss die Projekte der Stiftungen mit seinen Zinszahlungen. Eine Win-Win-Situation, die allerdings schon nicht mehr funktioniert, wenn man an die wachsende Bedeutung der Unternehmen als Schuldner denkt. Richtig paradox wird es, wenn man die Dividende als Zinsersatz nutzen möchte. Warum muss der Teil der Unternehmensgewinne, der ausgeschüttet wird, zeitnah für den Stiftungszweck verwendet werden, während der Gewinn, der sich (einbehalten) nur in den Unternehmensbewertungen an der Börse niederschlägt, für die meisten Stiftungen bilanziell gar nicht existiert? Schließlich: Wie gefährlich Anleihen wirklich für Stiftungen sind, zeigt sich in langfristiger Betrachtung bei der Frage, wie viele Stiftungen, die nur in „sicheren“ Anleihen anlegen, älter als hundert Jahre sind? Antwort (ohne, dass man dafür einzeln nachschauen müsste): Keine. Stiftungen, die vorwiegend oder nur in Anleihen angelegt haben, sind garantiert Opfer der vielen Katastrophen in den vergangenen Jahrhunderten geworden. Die ältesten deutschen Stiftungen halten ihr Vermögen in Wald, Ackerland und Unternehmen.      

Natürlich können Anleihen eine passende Anlage für Stiftungen sein. In dieser Ausgabe plädiert Frank Wettlauffer ganz ausdrücklich dafür mit guten Argumenten. Die Frage ist nur, ob Anleihen in Zukunft den Stellenwert haben sollten, den sie in der Vergangenheit hatten. Das Grundproblem besteht darin, dass sich die typische deutsche Stiftung eine Sichtweise zunutze gemacht hat, die der eines typischen institutionellen Investors, sagen wir: einer Pensionskasse, ähnelt. Hauptsächlich wird in bonitätsstarke Anleihen investiert. Illiquide Vermögensanlagen wie Land oder Immobilien werden gemieden, obwohl die Liquidität für einen Anleger, der sein Grundstockvermögen gar nicht anrühren will, überhaupt keine Rolle spielt, aber eine Rendite in Form der Liquiditätsprämie erwarten lässt. Aktien werden ebenfalls gemieden oder höchstens zur Sicherung des Grundstockvermögens eingesetzt, obwohl sie als Eigenkapital mittel- und langfristig nicht nur ertragsstärker als Anleihen sind, sondern historische Katastrophen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit überstehen. Vorübergehende Verluste, die Stiftungen eigentlich kaum ein Achselzucken wert sein sollten, lösen in der Szene Schnappatmung aus. Und die Anlagen werden so übervorsichtig bewertet, als gelte es, den wahren Wert des Stiftungsvermögens möglichst zu verschleiern. Dabei gibt es unseres Wissens keinen Grund dafür und es gibt auch keine Vorschrift für Stiftungen, die eine annähernd marktgerechte Bewertung verbietet.

Wenn man die Dinge nüchtern betrachten würde, wäre eine Ausgabenregelung für die Anerkennung der Gemeinnützigkeit wie im amerikanischen Recht am besten. Sie wäre die einzige richtige Konsequenz aus der wachsenden Komplexität der modernen Finanzmärkte. Gemeinnützig sind Vermögen, die für gemeinnützige Ziele verwandt werden; Punkt. Solange diese Klarheit nicht geschaffen wird, sind alle Reformbemühungen der Stiftungslandschaft unzureichend. Womit wir bei den bald in Kraft tretenden Gesetzesänderungen wären. Es ist zweifelsohne richtig, die Vorschriften für Stiftungen zu vereinheitlichen. Und es ist ebenso ein klarer Fortschritt, mit der business judgement rule der wirtschaftlichen Vernunft einen flächendeckend legitimierenden Stellenwert für Stiftungshandeln gegeben zu haben. Es ist auch richtig, die Verwendung von Umschichtungsgewinnen für den Stiftungszweck zu vereinheitlichen und zu erleichtern. Und ja, ein einheitliches Stiftungsregister ist überfällig, aber das Wesentliche ist eben damit (noch) nicht geregelt.