Mit Multi-Faktor-Strategien mögliche Gewinner von morgen identifizieren

Gastbeitrag

Die DekaBank über Multifaktor-Strategien im Rentenbereich

In der Aktienwelt sind Multi-Faktor-Modelle bereits seit Jahrzehnten etabliert. Als „Erfinder“ dieses Ansatzes gelten die beiden Nobelpreisträger Eugene Fama und Kenneth French. Sie stellten 1992 das nach ihnen benannte Dreifaktorenmodell zur systematischen Erklärung von Aktienrenditen vor. Dabei fügten sie der aus dem traditionellen Capital-Asset-Pricing-Modell bekannten aktienspezifischen Variable „Beta“ noch die Faktoren „Value“ (die aus Buch- und Marktwert berechnete Bewertung) und „Size“ (Marktkapitalisierung) hinzu. Dieses Modell wurde mehrfach weiterentwickelt, zuletzt von Fama und French selber. 2015 nahmen sie den Faktor Ertragskraft und einen Investitionsfaktor hinzu. Denn Aktien mit hoher operativer Ertragskraft erreichen eine bessere Performance, Aktien von Unternehmen mit stark wachsender Bilanzsumme erzielen unterdurchschnittliche Renditen.

Seit einiger Zeit werden Multi-Faktor-Strategien nun auch auf die Anleihenmärkte angewendet. Die Funktionsweise ist ähnlich, auch wenn es hier einige Besonderheiten zu beachten gilt. So gibt es zusätzliche Treiber wie Kredit- und Laufzeitrisiken, aber es existieren auch Faktoren, die denen auf der Aktienseite ähneln. Dazu gehören beispielsweise Value, Momentum oder Quality. Über die Kombination der verschiedenen Faktor-Gewichte werden die Multi-Faktor-Strategien für Renten erzeugt.

In den üblichen Benchmarks sind Unternehmen und auch Staaten in der Regel über ihr Emissionsvolumen vertreten. Somit haben stark verschuldete Emittenten ein entsprechend großes Gewicht im Universum. In diesem Umfeld identifizieren Multi-Faktor-Strategien in einem systematischen und regelbasierten Investmentprozess Faktorprämien, mit denen langfristig die Möglichkeit besteht, eine Überrendite zu erwirtschaften.

Corona-Pandemie als Lackmustest für die Robustheit von Geschäftsmodellen

Es ist alles andere als ein Zufall, dass sich Multi-Faktor-Strategien in der Corona-Krise auf der Rentenseite besonders bewährt haben. Die Pandemie stellte und stellt noch immer deutlich höhere Anforderungen an die Marktteilnehmer als beispielsweise das für die Kapitalmärkte ebenfalls schwierige vierte Quartal 2018. Gerade in der durch das Corona-Virus entstandenen Situation an den Anleihemärkten können diese Strategien ihr volles Potenzial entfalten. Denn die Corona-Krise sorgt für eine wieder stärkere Ausdifferenzierung von Unternehmen an den Bondmärkten. Unternehmen, die bereits vor Corona strukturelle Probleme hatten, waren auch die ersten, die durch die Pandemie in Schwierigkeiten gerieten. Insofern war und ist die von Covid-19 ausgelöste Wirtschaftskrise ein Lackmustest für die Robustheit und die Zukunftsfähigkeit der Geschäftsmodelle von Unternehmen.

Multi-Faktor-Strategien beruhen auf dem engen Zusammenspiel von Risiko-Faktoren wie „Quality“ und „Size“ und Rendite-Faktoren wie „Carry & Value“ und „Momentum“. Der Faktor „Carry & Value“ soll dabei die laufenden Erträge maximieren, über das „Momentum“ wird der durch Trends geschaffene Performancebeitrag für das Portfolio vereinnahmt. Mit dem Faktor „Size“ werden Klumpenrisiken im Portfolio vermieden und über „Quality“ Ausfallrisiken verringert.

Streng wissenschaftlich-analytischer Ansatz eröffnet globale Renditechancen

Die möglichen Gewinner von morgen finden sich unter denjenigen Unternehmen, deren Spreads gemessen an ihren Risiken strukturell zu hoch sind. Um sie zu identifizieren, sind die oben genannten Faktoren sehr gut geeignet. Dies umso mehr, als sie als quantitativer Ansatz streng wissenschaftlich-analytisch und objektiv funktionieren und subjektive Verzerrungen ausschließen. Dies bedeutet unter anderem, dass die Strategien nicht eventgetrieben, also von historischen Sondersituationen beeinflusst sind – so lange diese auch andauern mögen. Wirklich tragfähige Faktoren sollten also auch außerhalb der seit 2010 andauernden Niedrigzinsphase funktionieren. Historische Erfahrungswerte, die deutlich über diesen Zeitraum des letzten Jahrzehnts hinausgehen, sind daher unverzichtbar, um eine belastbare Indikation zum Wert und zur Bedeutung von Faktoren zu erhalten. Vor allem die Finanzkrise 2007/2008 sollte empirisch erfasst sein. Multi-Faktor-Modelle sind umso vertrauenswürdiger, je besser sie sich auch und gerade in dieser Ausnahmesituation nachweisbar bewährt haben.

Durch den quantitativen Ansatz können Renditechancen also frei von subjektiven Schätzungen – um nicht zu sagen potenziellen Selbsttäuschungen – systematisch flächendeckend erschlossen werden. „Flächendeckend“ ist dabei das Schlüsselwort: Das Anlageuniversum, das Multi-Faktor-Strategien eröffnen, ist global angelegt. Daraus ergibt sich wiederum ein deutlich höherer Diversifikationsgrad an Emittenten, Ländern und Sektoren im Vergleich zu reinen Euroanlagen.

Systematische Vorgehensweise

Jeder Faktor hat in den Strategien seinen festen Platz. Als Teamplayer im engen Zusammenspiel mit den anderen Faktoren entfaltet er seine volle Wirkung. So hilft der Faktor „Momentum“ zunächst, eine Grundauswahl von Unternehmen zusammenzustellen. Dafür werden Unternehmen aus dem High Yield-Segment mit der besten Aktien-Performance Year-over-Year im Verhältnis zum Markt identifiziert. Eine solche Outperformance an den Aktienmärkten spricht für eine starke Equity Story.

Um aus dem so ausgewählten Universum die letztlich erfolgversprechendsten Titel auszuwählen, werden anschließend über das Selektionskriterium „Quality“ diejenigen ausgeschlossen, bei denen die Refinanzierungskosten zu Recht so hoch sind, denn sie weisen erhöhte Ausfallrisiken auf. Übrig bleiben danach die Unternehmen, deren Refinanzierungskosten gemessen an ihrem Geschäftsmodell und ihren Perspektiven strukturell zu hoch sind. Faktor-Auswertungen der vergangenen 20 Jahre zeigen: Besonders attraktiv sind Unternehmen, die eine starke Equity Story haben und deren Rating zugleich nicht besser als BBB ist. Denn erfahrungsgemäß nutzen diese Unternehmen in besonderer Weise ihre gute wirtschaftliche Situation, um ihr Rating zu verbessern, ins Investment Grade aufzusteigen und damit ihre Refinanzierungskosten zu senken. Algorithmen-basierte Modelle identifizieren die Unternehmen, die dieses Ziel mit höchster Wahrscheinlichkeit innerhalb von einem Jahr erreichen. Anleihen dieser Unternehmen stellen für Anleger eine sehr gute Risiko-Rendite-Relation in Aussicht.

Faktoren müssen langfristig stabil sein

Die Ergebnisse des regelmäßig durchgeführten quantitativen Screening-Prozesses werden kontinuierlich und über lange Zeiträume in einer global gültigen Datenbank erfasst. Sämtliche in der Datenbank enthaltenen Anleihen werden in eine Prioritätenfolge gebracht. Ist es nicht möglich, ein Rentenpapier aufgrund der Liquiditätslage zu erwerben, kann einfach auf den nächstplatzierten Schuldtitel zurückgegriffen werden. Das hat den großen Vorteil, dass der Research-Prozess nicht immer neu begonnen werden muss. Damit diese Vorgehensweise funktioniert, sollten die Faktoren immer auch unter dem Aspekt einer hinreichenden Stabilität ausgewählt werden. Würde sich ein Faktor täglich ändern, müssten ansonsten auch die Portfolios täglich den neuen Gegebenheiten angepasst werden. Ein „guter“ Faktor sollte also eine gewünschte Risikoprämie beinhalten und zugleich möglichst stabil über längere Zeiträume sein.

Die Faktoren haben in den existierenden Multi-Faktor-Strategien grundsätzlich alle die gleiche Bedeutung. Es gibt also keine prioritären oder sekundären Faktoren. Das grundsätzliche Erfolgsgeheimnis der Strategien liegt in der Kombination der verschiedenen Faktoren. Je nahtloser diese ineinandergreifen, umso erfolgreicher ist die Strategie. In Stein gemeißelt sind die aktuell relevanten Faktoren dabei nicht. Genauso dynamisch wie sich die Kapitalmärkte weiterentwickeln, muss auch die Option vorbereitet sein, weitere, neue Faktoren zu integrieren. Dies ist genauso eine Aufgabe für die wissenschaftliche Forschung wie die Entwicklung von Modellen für das Prognostizieren von Marktphasen und das Zusammenspiel der Faktoren in diesen Phasen. Sollte zum Beispiel in einer allgemeinen Expansionsphase des Marktes der Faktor „Value“ eine besondere Rolle spielen? Wie kann dies abgebildet werden? Und wie funktioniert dann das Zusammenspiel mit den anderen Faktoren?

Mit solchen Fragen beschäftigt sich das Kapitalmarktforschungsinstitut IQ-Kap der DekaBank. Die Forschungsergebnisse dieses Institutes werden breitflächig in der Branche zitiert. Das hat sogar das Interesse großer internationaler Kapitalsammelstellen aus dem Nahen und Fernen Osten geweckt. Multi-Faktor-Renten-Strategien sind also weltweit auf dem Vormarsch und haben den größten Teil ihrer Erfolgsgeschichte vermutlich noch vor sich. Naturgemäß sind mit den Strategien allerdings auch Risiken verbunden. Es sind Kursverluste/-schwankungen infolge von Veränderungen des Marktzinsniveaus möglich. Einzelne Emittenten können sich in ihrer Zahlungsfähigkeit verschlechtern, was zu Kursrückgängen oder Ausfällen führen kann. Auch sind Kursverluste und eine Verringerung der Rendite möglich, beispielsweise in Stressphasen infolge von mangelnder Liquidität im Anlagesegment. 

Fazit

Die gigantischen Konjunkturpakete von Staaten und Notenbanken zur Überwindung der Corona-Pandemie helfen zunächst einmal vielen. Aber auch hier wird es Unternehmen geben, die aufgrund ihres Geschäftsmodells und ihrer Equity Story mehr als andere profitieren werden. Die Gewinner von morgen sind schon längst da – sie müssen „nur“ gefunden werden. Hierfür kommen auch Multifaktor-Strategien in Frage. Anleger sollten dies nicht verpassen.