Machen Zinsanstieg und Angst die Chancen von Aktieninvestitionen zunichte?
von Dr. Andreas Schyra, Vorstandsmitglied der PVV AG und Dozent an der FOM Hochschule in Essen
Es ist mal wieder die Zeit gekommen, in der unzählige Banken ihre DAX-Prognosen für das neue Jahr herausgeben. Die Spanne zwischen der vorsichtigsten und offensivsten Schätzung ähnelt auch diesmal einem Scheunentor, wobei man sagen muss, dass ein Hang zur deutlich positiven Entwicklung besteht. Zwar sagte bereits Karl Valentin „Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen“, doch die Überzahl derjenigen, die in 2023 eine gute DAX-Entwicklung erwarten, scheint berechtigt.
Die aktuelle Krise scheint immer die schlimmste zu sein
Unter Beachtung der umfangreichen Herausforderungen, unter denen die Börsen bereits im vergangenen Jahr litten, lässt sich schnell die Prognose wagen, dass auch 2023 ähnlich negativ verlaufen werde. Diese Einschätzung ist beeinträchtigt durch die menschliche Tendenz, die aktuelle Krise immer als die schlimmste wahrzunehmen. Doch die Börsen handeln eben nicht vermeintliche Fakten, sondern insbesondere Erwartungshaltungen an zukünftige Entwicklungen. Experten der Forschungsrichtung Behavioral Finance wissen dazu umfangreich zu berichten und plakative Beispiele zu nennen.
Börsen handeln Erwartungen an zukünftige Entwicklungen
Aspekte wie der Krieg in der Ukraine, lange nicht gesehene Preissteigerungsraten und Zinssteigerungen in ungeahntem Tempo sowie bestehende Lieferkettenprobleme insbesondere aus China sind jedoch Fakten, die von der Börse bereits im vergangenen Jahr verarbeitet wurden. Entscheidend für die weitere Börsenentwicklungen sind daher die Annahmen, was in der Zukunft geschehen wird und wie sich die genannten Aspekte verändern werden.
Preissetzungsmacht oder Marktaustritt durch Insolvenz
Niemand vermag es vorauszusagen, wann und wie der Krieg in der Ukraine ausgeht. Sicher scheint jedoch, dass die Inflationsraten aufgrund von Basiseffekten etwa ein Jahr nach Kriegsbeginn weiter sinken werden. Diesbezüglich besteht nicht die Erwartungshaltung, dass das Preisniveau zeitnah auf das EZB-Ziel von zwei Prozent zurückkehren wird, sondern lediglich, dass die eingeschlagene, rückläufige Tendenz fortgesetzt wird. Ein Inflationsniveau von etwa fünf Prozent jährlich kann ein gutes Umfeld für Aktien sein, wenn Unternehmen mit Preissetzungsmacht in der Lage sind, diese Steigerungsraten an Kunden weiterzureichen. Sollte die Weiterleitung erhöhter Preise nicht möglich sein, würde die Inflation automatisch sinken oder Unternehmen würden – entgegen der Ausführungen unseres aktuellen Wirtschaftsministers, nicht lediglich die Produktion einstellen – sondern final aus dem Markt ausscheiden. Die vergangenen Quartale haben genau das bereits verdeutlicht, wobei insbesondere zahlreichen börsengelisteten Aktiengesellschaften eine Preissetzungsmacht zugebilligt werden kann.
Harte Landung der Wirtschaft wird vermieden
Ein rückläufiges Inflationsniveau wird dazu führen, dass die Notenbanken ihr Zinssteigerungstempo weiter drosseln und eher abwartend agieren. Insbesondere die US-amerikanische Fed wird die Auswirkungen auf die Wirtschaft und somit den Arbeitsmarkt stärker in den Fokus rücken. Da ein schnell und deutlich erhöhtes Zinsniveau die Gefahr einer harten Landung der Wirtschaft birgt, wird sie spätestens im zweiten Halbjahr noch stärker mit Augenmaß agieren, was sogar dazu führen kann, dass die Zinsentwicklung die Gegenbewegung antritt.
Angebotsbedingte Inflation bedingt durch problematische Lieferketten
Nachdem die Chinesen ihre Null-Covid-Politik zuletzt mäßigten, ergeben sich realistische Chancen, dass sich auch die Lieferkettenprobleme sukzessive verringern. Dies würde nicht nur die wirtschaftlichen Aktivitäten beispielsweise in Europa ankurbeln, die Erwartung einer anhaltenden und tiefgreifenden Rezession verringern, sondern zudem das Preisniveau senken, da derzeit eine angebotsbedingte Inflation vorherrscht.
Erwartung als Chance für ein gutes Börsenjahr
All diese Erwartungshaltungen sind zwar Prognosen und es gilt weiterhin die oben genannte Aussage Karl Valentins, doch sie machen berechtigte Hoffnung auf ein gutes Börsenjahr, denn wenn sie nicht Prognose, sondern Fakten wären, wären sie in den Börsenkursen bereits reflektiert und hätten kein weiteres Potential in Chancen zu münden.
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