Kauf nur, was du verstehst!
Mein Problem mit den Börsenweisheiten. Von Elmar Peine
„Kauf nur, was du verstehst“ ist ein alter Börsianer-Ratschlag, der insbesondere nach dem Desaster im New Economy-Boom viral ging, wie man heute sagen würde. Tatsächlich, in der heißen Phase der New Economy und des Neuen Marktes kurz vor dem Jahr 2000 investierten Anleger Abermilliarden in Geschäftsmodelle, von denen sie nicht den geringsten Schimmer hatten. Die Quittung erhielten sie dann ab März 2000, als die Kurse vieler sogenannter Tech-AGs vom dreistelligen Bereich auf Penny Stock-Niveau schrumpften, also unter einen Euro sanken. Seitdem raten viele Experten dazu, nur in Geschäftsmodelle zu investieren, die man auch wirklich versteht.
Journalisten oder ehemalige Journalisten sollten dann aber keine guten Anleger sein, denn sie „wissen alles, verstehen aber nichts“. Um ein guter Journalist zu sein, muss man alle möglichen Sachverhalte schnell grob begreifen können, deren Bedeutung abschätzen und dann am besten zum nächsten Thema übergehen. Für das Verstehen, so hieß es auch in meiner Zeit als Journalist, sind Experten da, die können die Wirkungsweise und künftige Bedeutung etwa von Wasserstoff erklären, schließlich haben sie sich zumeist ihr ganzes Berufsleben lang damit beschäftigt. Journalisten, auch Börsenjournalisten, sollten die Experteneinschätzungen einordnen und in die laufende Diskussion „einpflegen“ können, wirklich durchdringen brauchen sie die Dinge, über die sie da schreiben oder sprechen, nicht.
Ich verstehe, dass Experten zur Vorsicht raten und insbesondere private Kleinanleger ermahnen, nicht einfach in irgendetwas zu investieren, aber wenn ich ehrlich bin, finde ich den zweiten Ansatz, den journalistischen, für die Börse passender. Nichts verstehen, aber alles zu wissen, scheint mir eine bessere Voraussetzung für erfolgreiches Investieren, als nur zu kaufen, was man wirklich und tief verstanden hat. Das hat viele Gründe, denn es fehlen:
- Die Zeit. Die meisten privaten Investoren haben schlicht keine Zeit, sich mit hunderten, nein tausenden von Geschäftsmodellen zu beschäftigen, die jeweils zu verstehen, ihre Zukunftsfähigkeit abzuschätzen und einen fairen Preis zu ermitteln. Für den Gesamtmarkt, also die hunderttausende von Aktien, die es weltweit gibt, besorgt das eine ganze Armee von Analysten, auf deren Expertise sich Millionen von Investoren verlassen (müssen). Einzelnen Anlegern ist das ganz unmöglich. Selbst wenn es nur, sagen wir, um die 40 DAX-Unternehmen ginge, könnten nur wenige Privatanleger neben ihrem Job die Zeit aufbringen, wirklich in die Tiefe der Bilanzen dieser Unternehmen und ihrer Branchen eindringen. Die meisten Privatanleger müssen sich darauf verlassen können, dass andere den Job gut machen, wofür sie etwa Fondsgebühren, zahlen.
- Das Interesse. Unabhängig von der Zeit fehlt den meisten Amateuranlegern auch die Motivation, sich mit so trockenem Zeug wie Geschäftszahlen, Zentralbankpolitiken oder Branchenreports zu beschäftigen.
- Die Expertise. Aber selbst wenn der Wille und die Zeit da wären: Bilanzen zu lesen und wirkliche Schwachstellen oder Stärken von Geschäftsmodellen darin zu entdecken ist keine triviale Angelegenheit, sondern setzt hochspezialisierte Expertise voraus. Es gibt viele Beispiele von Unternehmen, die es mit vollkommen gefälschten Bilanzen bis in die höchsten Sphären der Industrie gebracht haben, begleitet von Wirtschaftsprüfern, analysiert von professionellen Analysten und misstrauisch beäugt von Heerscharen von Journalisten.
- Der Nutzen. Das gewichtigste aller Argumente, das, in das man investiert, wirklich verstehen zu wollen, ist der fehlende Nutzen. Eine Vielzahl von Studien hat gezeigt, dass es Leute nicht erfolgreicher an der Börse macht, wenn man sich nur lange genug mit bestimmten Sachverhalten beschäftigt hat. Man kann Börse nicht lernen oder andersrum: Die Märkte sind effizient. Affen agieren genauso erfolgreich bei der Auswahl von Aktien wie Professoren, das ist eine (mehrfach praktisch getestete und bestätigte) Konsequenz der Informationseffizienz der Aktienmärkte.
Aus diesem und den anderen 3 Gründen halte ich offen gestanden nicht besonders viel von der Regel, nur in etwas zu investieren, was man kennt. In gewisser Weise unterscheidet sich ein Finanzinvestment von einem unternehmerischen Engagement gerade durch die Menge an Wissen über das Investment; bei Finanzen ist es per se nahe null. Oder anders ausgedrückt: Streuung ist für Finanzinvestoren das, was Wissen, Erfahrung, Expertise für Unternehmer ist. Wie für Unternehmer die Ausbildung, die Branchenkenntnis, die Erfahrung des Erfolges das Risiko des Scheiterns reduziert, so reduziert bei Finanzinvestoren die Streuung des Vermögens auf viele Unbekannte das Risiko des Scheiterns und erhöht die Chancen auf eine auskömmliche Entschädigung für die Mühen des Investments. Wer in ein strukturiertes Produkt wie einen Fonds oder ein Zertifikat investiert, kann natürlich auch nicht alle Investments dieser Produkte kennen, er muss der Strategie und/oder dem Management vertrauen und sollte vielleicht nicht mehr als fünf Prozent des Vermögens in ein Produkt stecken. Verstehen ist unmöglich!
Und was es uns noch sagt, ist, dass es vielleicht nicht schlecht ist, eher mit einem journalistischen Ansatz an die Märkte zu gehen, sich nicht mit zu hohen Anforderungen an die Kenntnis des Investments zu stressen und lieber oberflächlich als wissenschaftlich an die Börse zu gehen.