Jagd nach Alpha – kein aussichtsloses Unterfangen

Aktiv vs. passiv. Die akademische Finanzmarktforschung beurteilte lange die Chancen aktiver Manager, einen Markt schlagen zu können, als gering. Die Einschätzung hat sich aber zugunsten des aktiven Investierens verändert.

In der Anlagepraxis war die Ansicht schon immer weit verbreitet, dass es guten Asset Managern gelingt, eine geeignete Benchmark zu schlagen. Davon sind Manager naturgemäß vor allem im Hinblick auf die eigenen aktiv verwalteten Fonds überzeugt. Nähme man diesen Anspruch einer Vielzahl aktiver Fondsanbieter ernst, sollten aktive Fonds im Durchschnitt auch nach Kosten im Vorteil gegenüber passiven Produkten sein. Das bezweifelten Akademiker auf Basis theoretischer Modelle und empirischer Studie jedoch lange. Neuere Untersuchungen der akademischen Finanzmarktforschung scheinen diese negative „alte“ Sicht zumindest ein wenig zu revidieren. Demnach sind die Chancen, Märkte zu schlagen, besser als lange gedacht.

Stufen der „Aktivität“

Was ist überhaupt aktives, was ist passives Investieren? Finanzwissenschaftler unterscheiden in der Regel mehrere Ertragsstufen mit aufsteigendem Aktivitätsgrad. Wir beziehen uns im Folgenden auf ein Mehr-Stufen-Schema des Finanzwissenschaftlers Andrew Ang, der heute bei Blackrock u.a. für Faktor-Strategien zuständig ist. In diesem Schema erklärt jede folgende Stufe relativ zur vorhergehenden Stufe einen Mehrertrag. Die fünf Stufen sind: 0) inferiores Ausgangsportfolio, 1) diversifiziertes „klassisches“ Portfolio, 2) Portfolio mit Rebalancing, 3) Portfolio mit Factor Investing, 4) Portfolio mit aktivem Management. Die beiden Stufen 1 und 2 gelten als passives Investieren, Stufe 3 ist zwischen „passiv und aktiv“ positioniert, Stufe 4 gilt als „reines“ aktives Management. Das gilt auch für die Stufe 0 (siehe unten).

Stufe 0: Vorausgesetzt wird: Ein wenig diversifiziertes Portfolio, das schlechter performt als ein Marktportfolio.

Stufe 1: Hier wird im Rahmen eines „klassischen“ Anlageuniversum ein diversifiziertes Portfolio konstruiert. Unternehmensspezifische Risiken im Portfolio neutralisieren sich. Daraus ergibt sich eine Diversifikations-Prämie (Mehrertrag) gegenüber einem weniger diversifizierten Portfolio (Stufe 0).

Stufe 2: Das Portfolio der Stufe1 ist statisch. Deshalb besteht die zweite Ertragsstufe gerade für langfristige Anleger in der periodischen Anpassung des Portfolios an Marktveränderungen. Das erfolgt durch Rebalancing. Daraus ergibt sich eine Rebalancing-Prämie.

Stufe 1 und Stufe 2 bezeichnet man landläufig als „passive“ Strategien. Ein optimales „passives“ Benchmark-Portfolio definierte Ang wie folgt: a) gut diversifiziert; b) möglichst Abbildung des Risikos liquider Märkte (Marktfaktor); c) gute Replizierbarkeit; d) Eignung für Rebalancing (entsprechende Liquidität); e) billige Implementierbarkeit; f) lange Kursgeschichte.

Stufe 3: Ein passives Portfolio der Stufen 1 oder 2 bildet einen „Markt“ ab. Man spricht hier auch vom Marktfaktor, der ein marktweites Risiko erfasst, das mit einer entsprechenden (Mehr-)Rendite (über den sicheren Zins hinaus) entgolten wird. Beim Factor Investing werden weitere systematische Risikofaktoren berücksichtigt, die langfristig Mehrrenditen gegenüber einer passiven Benchmark im Sinne der Stufe 2 versprechen (Faktor-Prämien). Bekannte Beispiele für solche Faktoren sind: Value, Size oder Momentum. Es gibt aber zwischenzeitlich eine Unzahl von weiteren Faktoren. Bei vielen ist ihre Eignung aus Investorenperspektive allerdings umstritten. Beim Factor Investing sollten zudem neben Long- auch Short-Strategien verwendet werden.

Von der Idee her handelt es sich bei Faktoren, wie beim Marktfaktor, um systematische Risiken. Das heißt insbesondere, dass sie auch dann nicht verschwinden, wenn sie am Markt weithin bekannt sind. Unter dem Schlagwort „Smart-Beta“ werden auch entsprechende Indexprodukte angeboten. Für Faktor-Portfolios gibt es ebenso die Möglichkeit des Rebalancing. Die dabei anfallenden Kosten sind aber meist höher als in einem passiven Standard-Portfolio. Auch können bei Faktor-Ansätzen Komplexität und Heterogenität, nur indirekte Investierbarkeit über Stellvertreter-Assets, unterschiedlich lange historische Zeitreihen, zeitliche Variabilität der Mehrrenditen, falsche Faktorhypothesen sowie unzutreffende Generalisierungen Probleme bereiten. Das kann den Versuch, Faktorprämien verdienen zu wollen, in die Nähe des aktiven Managements rücken. Aufgrund dieser Zwischenposition betrachten viele Finanzwissenschaftler das Factor Investing als eine aktiv-passive Hybridform, aber in der Regel nicht als „reines“ aktives Investieren.

Stufe 4 ist der Übergang zum reinen aktiven Management, das durch entsprechende Titelselektion mehr oder weniger stark von einem „aktiv-passiven“ Faktor-Portfolio abweicht. Ziele sind Mehrerträge gegenüber Stufe 3. Dabei spielen Informationsvorteile bei der Prognose – bessere Daten, bessere Auswertung, bessere Interpretation usw. – die entscheidende Rolle. Wie bereits gesagt: Im Unterschied dazu beruhen die systematischen Faktoren nicht auf Informationsvorteilen gegenüber dem Markt.

Manager zielen beim aktiven Management auf einen Mehrertrag gegenüber einem Referenzportfolio, d.h. auf positives Alpha. Aktives Management kann jedoch auch zu negativem Alpha führen.

Aktives Management

Aktives Management lässt sich auch formal näher bestimmen. Eine Modellaussage ist besonders prominent: Die Arithmetik des aktiven Managements. Darüber hinaus gibt es Maße für die Leistungsfähigkeit des aktiven Managements. Eine der verbreiteten Kennziffern ist die Information Ratio. Deren Komponenten beansprucht das sogenannte „Fundamentale Gesetz des aktiven Managements“ aufzuklären.

William F. Sharpe erhielt zusammen Merton H. Miller und Harry M. Markowitz den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften der Schwedischen Reichsbank für das Jahr 1990. Sharpe formulierte die „Arithmetik des aktiven Managements“.

Arithmetik

Die „Arithmetik“ des aktiven Managements geht auf einen kurzen Artikel des Nobelpreisträgers Sharpe aus dem Jahr 1991 zurück. Sie besagt, dass aktives Management vor Kosten ein Nullsummen-Spiel ist: Was die einen aktiven Manager gewinnen, verlieren die anderen. Daraus folgt, dass durchschnittliche aktive Manager vor Kosten den Ertrag der passiven Manager erzielen. Nach Kosten erzielen sie jedoch eine geringere Rendite. Anzumerken ist, dass dieses Ergebnis von bestimmten Annahmen abhängig ist, die real nicht erfüllt sein müssen.

Spricht die Arithmetik gegen aktives Management? Nein. Denn die Arithmetik schließt nicht aus, dass bestimmte aktive Manager langfristig den Markt – nach Kosten – dauerhaft schlagen können. Ebenso wenig, dass aktive Manager vor Kosten systematisch schlechter abschneiden als der Markt – und damit als der Durchschnitt der aktiven Manager. Hierzu gehören jene Anleger, die zwar abweichend vom Marktportfolio anlegen, die aber die öffentlich zugänglichen Informationen nicht adäquat nutzen oder ein suboptimales Anlageverhalten praktizieren (Studien zufolge trifft dies vor allem auf Privatanleger zu).

Die Gruppe der systematischen Alpha-negativ-Anleger bildet die oben erwähnte Stufe 0. Diese Anleger könnten durch Wahl eines „passiven“ Marktportfolios ihre Performance verbessern. Das bedeutet zugleich, dass das Portfolio der Stufe 0 ein aktiv gemanagtes Portfolio ist.

Information Ratio und FLAM

Die klassische formale Antwort auf die Frage, woran man erfolgreiche aktive Manager erkennt, heißt „Information Ratio“ (IR). Die IR ist ein Maß für den Anlageerfolg, den Manager durch Abweichung von einer geeigneten Benchmark erzielen können. Rechnerisch handelt es sich um den Quotienten aus Extrarendite (Alpha) und einem Risiko-Maß für die Streuung der Extrarenditen (Tracking Error). Im einfachsten Fall kann die Information Ratio als charakteristische Konstante eines Managers (einer Person, eines Teams, einer Organisation) interpretiert werden.

Die IR kann man weiter in Bestimmungskomponenten zerlegen. Ein Vorschlag dazu ist das Fundamental Law of Active Management (FLAM) von Grinold und Kahn. Dem FLAM zufolge ist die Information-Ratio IR abhängig von: Skill (a), Breadth (b) und Effektivität (c).

Zu a) „Skill“ meint die Kompetenz eines Managers. Diese wird erfasst durch einen Information Coefficient IC. Der misst die Korrelation der Prognosen im Verhältnis zum eingetretenen Ergebnis und liegt zwischen -1 und 1. Der IC eines allwissenden Managers liegt bei 1, wer immer falsch prognostiziert kommt auf -1, der IC des Durchschnitts der aktiven Manager beträgt 0. Gute Manager haben einen IC von 0,05, hervorragende Manager kommen auf 0,10.

Zu b) Breadth oder Breite ist ein Maß für die Verteilung der Kompetenz über verschiedene, voneinander unabhängige Anlageentscheidungen. Wirkt sich eine hohe Prognose-Kompetenz in nur wenigen Anlageentscheidungen aus, ist die Breite gering, und das mindert die IR.

Zu c) Kompetenz und Breite erklären ein ideales Portfolio. Reale Portfolios unterliegen aber Beschränkungen, wie z.B. long-only-Vorgaben usw. Der Transfer-Koeffizient TC (Transfer Coefficient) misst, wie gut ein ideales Portfolio in ein reales umgesetzt werden kann. Je geringer der TC, umso schwächer werden Kompetenz und Breite der Kompetenz in einem realen Portfolio umgesetzt.

So weit die theoretisch-maßtechnische Seite. Wie sieht es nun in der Praxis aus? Wir beschränken uns im Folgenden auf Fonds.

Empirische Befunde: Konventionelle Sicht und neuere Einsichten.

Die konventionelle Sicht auf die Performance aktiv verwalteter Fonds ist durch Studien zur US-Fondslandschaft geprägt, die insbesondere in den 1970er, 1980er und 1990er Jahren durchgeführt worden sind. Heraus kam ein „Kanon“, dessen Kernaussagen man verkürzt in drei Punkten zusammenfassen kann:

Punkt 1: Der durchschnittliche Fonds erzielt nach Kosten eine geringere Performance als ein entsprechendes Marktportfolio.

Punkt 2: Die Mehr-Performance der besten Fonds zu einem bestimmten Zeitpunkt hält nicht langfristig an, sie verschwindet mit der Zeit.

Punkt 3: Einige Manager sind durchaus kompetent und können vor Kosten ein Markt-Portfolio schlagen, aber nur sehr wenige Manager haben die Fähigkeit, auch nach Kosten noch ein Markt-Portfolio zu überbieten.

Seit Ende der 1990er Jahre wurden viele weitere Studien durchgeführt, auch auf anderer Datenbasis und mit einem weitaus differenzierteren Methodeninstrumentarium. Cremers und Kollegen veröffentlichten 2019 einen Überblicksartikel über die seit 1997 durchgeführte Performance-Forschung insbesondere zu US-Aktienfonds. Dem Survey zufolge zeichnen akademische Studien der letzten drei Jahrzehnte in der Summe ein positiveres Bild des aktiven Managements im Aktien-Segment. Im Hinblick auf andere Fonds-Segmente, etwa Anleihen- oder Misch- oder REIT-Fonds, fallen die Ergebnisse allerdings weiterhin allenfalls gemischt aus.

Offenbar gelang für US-Aktien-Fonds in jüngerer Zeit der Nachweis häufiger, dass aktives Management auch nach Kosten zu einem Mehrertrag führt und dass dies auch noch für den Fondsdurchschnitt gilt. Damit widersprechen neuere Studien Punkt 1 der orthodoxen Sicht.

Akademische Studien zeigten ferner im Widerspruch zu Punkt 2, dass sehr gut abschneidende Fonds auch langfristig ihre Fähigkeit beibehalten konnten, positives Alpha zu generieren.

Schließlich wurden in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Erfolgsbedingungen für Fonds und Manager identifiziert. Trotz weiterhin heterogener Ergebnisse sind die Chancen für aktive Aktienfonds-Manager, eine geeignete Benchmarkt zu schlagen, größer als man lange dachte. Somit ist auch Punkt 3 zugunsten des aktiven Managements zu korrigieren.

Der Studien-Überblick von Cremers und Kollegen zeigt auch detaillierter, welche Muster mit einer höheren Erfolgswahrscheinlichkeit für aktives Management einhergehen. Um einige Beispiele zu nennen: US-Aktien-Fonds mit hohem Active Share – deren Asset Allocation also stark von jener der Benchmark abweicht – gelang es häufiger ihren Index zu schlagen, als wenn der Active Share geringer war (Entlanghangeln am Index). Auch erzielten Aktien-Fonds, deren Performance sich weniger gut durch Risiko-Faktoren erklären ließ, häufiger Überschussrenditen. Auf Managerseite erwies sich die Fähigkeit zum Stock Picking als Alpha-Erfolgsfaktor von Aktien-Fonds, aber auch mit Market Timing gelang dies häufiger als die traditionelle Sicht nahelegt. Die Alpha-Chancen waren zudem höher, wenn das Fondsmanagement Aktionärs-Mitbestimmungsrechte eigenständig nutzte oder Steuerstrategien verfolgte. Nicht zuletzt waren disziplinierte Investitionsansätze, die vor suboptimalem Anleger-Verhalten schützen, häufig besser als die Benchmark.

Fazit

Die ältere akademische Orthodoxie sah im aktiven Management größtenteils ein aussichtsloses Unterfangen, bei dem Zufallserfolge in überlegene Managerkompetenz umdeklariert werden. Cremers und Kollegen kommen hingegen in Anbetracht der in den letzten zwei, drei Jahrzehnten veröffentlichten akademischen Studien zu dem Schluss, dass die Chancen, durch aktives Management von US-Aktienfonds auch nach Kosten Mehrrendite zu erzielen, größer sind als die Orthodoxie lange meinte. Allerdings gilt nach wie vor: Erfolgversprechende Fonds müssen immer noch anhand geeigneter Kriterien identifiziert werden.    

Link zur Studie:Challenging the Conventional Wisdom on Active Management: A Review of the Past 20 Years of Academic Literature on Actively Managed Mutual Funds”