Ausschüttung irrelevant?

Dr. Jasper Stallmann (CMS Hasche Sigle

Am letzten parlamentarischen Arbeitstag der Ära Merkel hat die Regierung die Reform des Stiftungsrecht durch den Bundestag gebracht. Wir fragten den Hamburger Stiftungsexperten Jasper Stallmann nach den Konsequenzen für die Vermögensanlage.

RenditeWerk: Was bedeutet die Reform für die Vermögensanlage?

Jasper Stallmann: Die Maßstäbe werden ab dem 1. Juli 2023 bundeseinheitlich geregelt sein. Der haftungsfreie Ermessensspielraum für Prognoseentscheidungen (Business Judgement Rule) wird im Gesetz verankert sein. Das Stiftungsvermögen wird künftig gesetzlich in das zu erhaltende „Grundstockvermögen“ und „Sonstige Vermögen“ unterteilt werden. Zudem stellt der Gesetzgeber klar, dass Umschichtungsgewinne grundsätzlich zur Erfüllung des Stiftungszwecks verwendet werden dürfen. All diese Regelungen schaffen Klarheit. Sie erhöhen auch die Flexibilität in der Vermögensanlage, zum Beispiel für Private Equity-Investments oder Sachanlagen. Nichts ändern wird sich am Maßstab der Vermögenserhaltung (nominal/real/gegenständlich). Er ist weiterhin im Einzelfall für jede Stiftung zu bestimmen.

RW: Warum hat der Gesetzgeber nicht klar definiert, welche Form des Kapitalerhalts (real/nominal/gegenständlich) eine Stiftung betreiben muss?

JS: Der Gesetzgeber hat diese Frage bewusst offengelassen, weil der Stifterwille, der jeder Stiftung ihr Gepräge gibt und Leitlinie ihres Handelns ist („Primat des Stifterwillens“) unterschiedlich sein kann. Wird etwa eine Stiftung zur Pflege und zum Erhalt einer Kunstsammlung mit Gemälden und Skulpturen als Vermögensbestandteilen errichtet, liegt es in der Natur der Sache, dass insoweit eine gegenständliche Kapitalerhaltung erfolgen soll. Für ebenfalls der Stiftung dotierte Barwerte dürfte das hingegen nicht gelten. Kurzum: Es kommt auf den Einzelfall an. Und genau das soll es.

RW: Zur Satzung: Was bietet die Reform auf diesem Gebiet?

JS: Die Reform hat etliche Implikationen für die Satzungsgestaltung, auch im Bereich der Vermögensanlage, etwa bei der Verwendung von Umschichtungsgewinnen oder für (jetzt gesetzlich anerkannte) „Hybridstiftungen“, die eine Mischung aus Ewigkeits- und Verbrauchsstiftung darstellen. Der Gesetzgeber hat zudem die Anforderungen an Satzungsänderungen und Grundlagenänderungen in der Stiftung vereinheitlicht. Das betrifft insbesondere auch Umwandlungsvorgänge (Zulegung und Zusammenlegung). Stiftungssatzungen werden grundsätzlich ab 2026 über das Stiftungsregister eingesehen werden können. Auch das sollte man im Hinterkopf haben.

RW: Aber nicht jede Satzung ist anerkennungsfähig?

JS: Nein, wenn sich aus der Satzung nicht ergibt, dass die Erfüllung des Stiftungszweckes langfristig gesichert ist, dass die Stiftung nur dem Stifter dienen soll oder sie aber das Gemeinwohl gefährdet, wird die Stiftung nicht anerkannt werden. Das war bereits vor der Reform so.

RW: Ist das der Grund, warum Satzungen, die eine Anlage nur in Aktien-Nebenwerte vorsehen, also kaum ordentliche Erträge erwirtschaften, in manchen Ländern Schwierigkeiten hatten, anerkannt zu werden?

JS: Der Zusammenhang ist nicht gerade zwingend. Ich könnte mir aber vorstellen, dass einer Stiftungsaufsicht hier womöglich die Stabilität der Vermögensanlage, und damit die Langfristigkeit der Zweckerfüllung, nicht gesichert erschienen sein könnte. Das hängt aber sehr von der jeweiligen Satzung und den Begleitumständen ab.

RW: Ergibt sich dann aus der Tatsache, dass künftig auch Kursgewinne frei verwandt werden dürfen, nicht auch eine größere Freiheit für die Formulierung von Satzungen?

JS: Ja, ein Stück weit. Vor allem aber ist klargestellt, was gilt, wenn die Satzung keine Vorgabe enthält.

RW: Können mit der Reform bestehende Satzungen leichter geändert werden?

JS: Nicht leichter, aber nach bundeseinheitlichen Maßstäben. Früher bestanden je nach Bundesland teils unterschiedliche Anforderungen. Künftig findet sich ein abgestufter Katalog, der von der „Dienlichkeit zur Zweckverwirklichung“ (einfache Satzungsänderung) über die „Erforderlichkeit wegen wesentlicher Veränderungen der Verhältnisse“ (Zweckanpassung und Änderung prägender Satzungsbestimmungen) bis hin zur „Unmöglichkeit der dauerhaften und nachhaltigen Zweckerfüllung“ (wesentliche Zweckänderung und Umwandlungsvorgänge) reicht.

Wenn eine Stiftungssatzung etwa eine Regelung zur Vermögensanlage enthält, die heute wegen der wesentlichen Veränderung der Verhältnisse nicht mehr umsetzbar ist (etwa: „nur Bundesschatzbriefe und Festgeld„), kann die Stiftung deswegen die Satzung ändern. Das geht übrigens – wie bei jeder Satzungsänderung – nur mit Genehmigung der Stiftungsaufsicht des jeweiligen Bundeslandes.

RW: Dann gibt es die sogenannte Business Judgement Rule, die jetzt ins BGB kommt. Brauchen Vorstände und Verantwortliche keine Angst mehr zu haben, in die Haftung genommen zu werden?

JS: Der Gesetzesgeber bringt jetzt in Gesetzesform, was die Gerichte schon zuvor so handhabten (unter Verweis auf das Aktienrecht). Zukunftsgerichtete Entscheidungen sind mit Unsicherheit behaftet.

Dem trägt der Gesetzgeber jetzt auch ausdrücklich im Stiftungsrecht Rechnung, indem er einen haftungsfreien Ermessensspielraum kodifiziert. Ein Vorstandsmitglied haftet dann nicht, wenn es bei der Geschäftsführung unter Beachtung der gesetzlichen und satzungsgemäßen Vorgaben vernünftigerweise annehmen durfte, auf der Grundlage angemessener Informationen zum Wohle der Stiftung zu handeln. Der Beweis über diese Umstände obliegt aber grundsätzlich den Organmitgliedern.

Bei ehrenamtlichen Organmitgliedern (bis zu einem Entgelt von EUR 840 pro Jahr) greift von Gesetzes wegen eine Privilegierung in der Haftung auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit. Hier trägt die Stiftung im Streitfall die Beweislast.

RW: Kommen wir zur Umschichtungsrücklage. In vielen, aber nicht allen Ländern konnte diese Rücklage schon flexibel verwendet werden.

JS: Ja, der Gesetzgeber hat auch hier die Vorgaben vereinheitlicht: Umschichtungsgewinne können in Zukunft flexibel zur Zweckverwirklichung verwendet werden, solange die Erhaltung des Grundstockvermögens gesichert ist und solange die Satzung nicht eine davon abweichende Handhabung vorschreibt. Die Regelung kam in dieser Form „in letzter Minute“ ins Gesetz und war in der Debatte besonders umstritten.

RW: Kann die Satzung, die bislang nur ordentliche Erträge für den Stiftungszweck verausgabt wissen wollte, nachträglich im Sinne der freien Verwendung der Umschichtungsgewinne geändert werden?

JS: Grundsätzlich ja: Die Satzung kann nach den oben erwähnten Parametern geändert werden (siehe die „wesentliche Änderung der Verhältnisse“).

RW: Heißt das, dass Stiftungen künftig nicht mehr darauf schauen müssen, ob ein Fonds ausschüttet oder nicht?

JS: Nein, nicht allgemein, aber in Teilen. Wenn die Satzung der freien Verwendung von Umschichtungsgewinnen nicht entgegensteht, ist die Flexibilität erhöht, zum Beispiel durch direkte Unternehmensbeteiligungen oder Sachwert-Investitionen. Aber: Die Erhaltung des Grundstockvermögens und die Zweckverwirklichung müssen gewährleistet bleiben. Das heißt: Eine Vermögensanlage ohne laufende Erträge kann nur in Grenzen funktionieren.

RW: Aber wenn die Kursgewinne, die ja bei vielen Aktien den bei weitem größten Performancebeitrag liefern, ausreichen, um den Grundstock zu erhalten und den Stiftungszweck zu erfüllen?

JS: Dann stellt sich immer noch die Frage, wie das Verlustrisiko (bis hin zum wirtschaftlichen Totalverlust des Aktientitels) im Vorfeld abgebildet wird, also beim Kauf der Anlage. Vermögenserhaltung zur langfristigen Zweckerfüllung bedeutet ja immer auch Diversifikation im Anlageverhalten. Eine Anlage, die von vornherein ohne Erträge arbeiten soll, aber möglicherweise Kursgewinne bringt, kann zeitgleich wohl nur dort den Geboten der Vermögenserhaltung und Zweckerfüllung genügen, wo andere Anlagen das Risiko abfedern. Auf die Mischung kommt es an.

RW: Dann ist doch auch die Unterscheidung zwischen ordentlichen Erträgen, also Zinsen und Dividenden auf der einen Seite und Kursgewinnen auf der anderen Seite hinfällig?

JS: Nicht allgemein, sondern nur im vorgenannten Rahmen.

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Dr. Jasper Stallmann, Counsel in der Kanzlei CMS Hasche Sigl, berät Privatpersonen, Unternehmerfamilien und Family Offices in Fragen der Unternehmens- und Vermögensnachfolge . Er ist erreichbar unter 040-37630-315.