Familienunternehmen: Das „G“-Problem bei ESG-Scores

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Kolumne

Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds, über Governance bei familiengeführten Unternehmen.

ESG, das sind Environment, Social und Governance, also Umweltschutz, Soziale Verantwortung und eine gute Unternehmensführung – und damit die wesentlichen Faktoren, nach denen die Nachhaltigkeit, die ethische Qualität und die sozialen Auswirkungen unternehmerischen Handelns bewertet werden. Allesamt Faktoren, nach denen ESG-Ratings vergeben werden. Sind dabei alle drei Bereiche gleich gewichtet? Ist soziale Verantwortung mehr wert als der Schutz der Umwelt, oder eine gute Unternehmensführung?

Aufsichtsrat als konstruktiver Sparringspartner

Diese Entscheidung ist wohl auch unter Experten umstritten. Was uns jedoch immer wieder auffällt: Familiengeführte Unternehmen, zudem, wenn sie an der Börse notiert sind, erhalten oft niedrigere ESG-Scores, als andere Unternehmen. Kritisiert wird das „G“, also eine gute und verantwortungsvolle Unternehmensführung. Hier besonders die Bereiche Transparenz und Stakeholder-Beteiligung. Dabei wird vor allem bemängelt, dass in den Aufsichtsgremien, also im Aufsichtsrat, Familienmitglieder vertreten sind, die das Unternehmen bereits zuvor geleitet haben, oder lediglich „begleitend“ kontrollieren, so der Vorwurf.

Was ist daran aber verwerflich? Der Aufsichtsrat besteht vielleicht nicht aus externen Kontrolleuren, sondern eher aus Personen, die das Unternehmen kritisch begleiten und dem Management als konstruktive Sparringspartner zur Verfügung stehen. Steht das den Prinzipien einer guten Unternehmensführung im Sinne der ESG-Kriterien im Wege? Wohl eher nicht.

Hoher Stellenwert des Themas Nachhaltigkeit

Das Thema Nachhaltigkeit hat gerade in Familienunternehmen einen hohen Stellenwert. Denn Eigentümerfamilien sind typischerweise mit einem Großteil ihres eigenen Vermögens im Unternehmen investiert und nehmen schon aus Eigeninteresse ihre Verantwortung allen langfristig orientierten Stakeholdern gegenüber wahr. Sie sind an einer kontinuierlichen Wertentwicklung und nicht an kurzfristiger Gewinnmaximierung interessiert. Das kommt uns als Fondsmanagern sehr entgegen, weil wir unsere Portfoliounternehmen in der Regel drei bis fünf Jahre lang halten. Da ist uns eine langfristig angelegte Strategie wichtiger als die Fokussierung auf das nächste Quartalsergebnis.

Außerdem: Schaut man sich eine Studie der Crédit Suisse-Research von 2020 an, zeigt sich, dass die durchschnittlichen ESG-Scores von Familienunternehmen zwischen 2014 und 2019 deutlich stärker gestiegen sind als die Scores von Nicht-Familienunternehmen. Heute werden die ESG-Scores von Familienunternehmen vor allem durch deren starke Orientierung an Umwelt- und sozialen Themen weiter vorangetrieben. Bei solchen Entwicklungen ist das kritisierte „G“ sogar eher förderlich, als dass es im Wege steht. Denn die Familien haben den langen Atem, diese Prozesse auch bis zur vollständigen Umsetzung zu begleiten.

„Grüne Perle“ Danieli

Zwei Beispiele: Beim Autovermieter Sixt hat seit einiger Zeit die nächste Generation das Sagen. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist Erich Sixt, also das Familienoberhaupt. Kürzlich hat der Vorstand – mit Sicherheit nicht gegen den Willen des Aufsichtsrates – beschlossen, im großen Stil Elektroautos des chinesischen Autoherstellers BYD in sein Angebot aufzunehmen. In einem ersten Schritt bestellte Deutschlands größter Autovermieter mehrere Tausend rein batteriegetriebene Fahrzeuge. Das sind hohe Investitionen. Damit wird Sixt zum Vorreiter eines grünen Fuhrparks im Autovermietungsgeschäft.

Oder unser Portfoliounternehmen Danieli, das ebenfalls von einer Familie geführt wird. Die Italiener gehören im Anlagenbau für die metallurgische Industrie weltweit zu den führenden Anbietern und sind mittlerweile eine wahre Perle in Bezug auf Umweltschutz und nachhaltiges Wirtschaften. So baut Danieli zusammen mit Tenova für den Stahlkonzern Salzgitter eine Anlage zur Herstellung von direkt reduziertem Eisen (DRI) mit bis zu 100 Prozent Wasserstoff als Reduktionsmittel. Normalerweise ist die Herstellung von Stahl mit einem hohen Ausstoß an CO2 verbunden. Mit der Anlage von Danieli und Tenova wird dies künftig vermieden.

Nicht nachvollziehbares Scoring

Für uns ist das ein perfektes grünes Investment, was zudem einen Enterprise Value von 0 hat (Markt Kapitalisierung 1,2 Milliarden Euro, Net Cash 1,2 Milliarden Euro, Net Profit ca. 200 Millionen Euro). Warum Danieli kein ESG-Rating mit der Note AAA erhält, ist kaum zu verstehen. Wahrscheinlich liegt es daran, dass Unternehmen, die Prozesse und Verfahren entwickeln, um nachhaltiger zu produzieren, in den bestehenden Scoring-Modellen deutlich schlechter bewertet werden als diejenigen, die bekannte Verfahren einsetzen. Danieli hat, wie gesagt, ein Verfahren entwickelt, mit dem ohne CO2-Ausstoß Stahl produziert werden kann. Wird das im ESG-Scoring berücksichtigt? Nein! Verschlechtert sich das Scoring, weil Danieli ein Familienunternehmen ist? Leider ja!