ESG und Rendite in Faktoren zerlegen

Eugene Fama gilt als einer der Hauptprotagonisten der Hypothese der effizienten Märkte. Daher glaubt er auch nicht, dass aktive Manager aufgrund überlegenen Wissens in der langen Frist Alpha generieren können oder dass Blasen vorab in für Investoren sinnvoller Weise (d.h. systematisch) erkennbar sind. Fama ist einer der führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Faktor-Investitions-Modelle. 2013 hat er zusammen mit zwei anderen Finanzökonomen den Alfred-Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften erhalten.
Quelle: Bengt Nyman

Nachhaltigkeit und faktorbasiertes Investieren Von Luz Siebentag

Das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Rendite steht naturgemäß im Zentrum der nachhaltigen Geldanlage. Inzwischen ist in der interessierten Öffentlichkeit die durch viele Studien gestützte Auffassung zu einem Gemeinplatz geworden, dass Nachhaltigkeit im Allgemeinen keine Rendite-Einbußen nach sich zieht.

Das Problem aber ist zum einen, dass Nachhaltigkeit vieles bedeuten kann; man kann das Wort weit oder eng definieren, locker oder streng auslegen, diese oder jene Bedeutung hineinschmuggeln. Das verbreitete Kürzel ESG macht erst gar nicht den Versuch, die Komponenten E, S, G unter einen einheitsstiftenden Namen zu bringen. E, S oder G können unterschiedlich gewichtet und ihrerseits weiter differenziert werden. Klimakriterien beispielsweise haben in den beiden letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen und werden seit einiger Zeit auch separat erfasst. Das Verständnis von „Nachhaltigkeit“ hat zudem eine zeitliche Dimension: Probleme, ihre gesellschaftliche Wahrnehmung und Wertesysteme wandeln sich; neue Erkenntnisse setzen sich durch; technologische Neuerungen verändern die favorisierten Lösungen.  

Zum anderen ist auch die Rendite keine simple Einheit, sondern wird zunehmend stärker in Komponenten ausdifferenziert. Die ab Mitte des letzten Jahrhunderts entwickelten Kapitalmarktmodelle fokussierten sich zunächst nur auf einen, den Marktertrag, an dem sich etwa auch „passives“ Management orientiert. Aktive Manager wollten jedoch seit jeher zu den besseren Anlegern zählen; und das erfordert die Fähigkeit, „den Markt“ zu schlagen. Dass dies gelingen könne, bezweifelte lange vor allem die Theoretikerfraktion. Dennoch wird damit eine zweite Ertragskomponente postuliert, die hauptsächlich aus Informationsvorsprüngen resultiert und häufig als Alpha bezeichnet wird. Als Finanzwissenschaftler daran gingen, die Treiber von Portfolio-Erträgen immer akribischer zu untersuchen, schob sich zwischen den Marktertrag und die Alpha-Komponente eine sich immer weiter ausdehnende Ertragsklasse von immer feiner differenzierten Faktorprämien. Man hatte daher mindestens drei Ertragsbestandteile zu unterscheiden: den Marktertrag; die zusätzlichen Faktorerträge; und „reines“ Alpha – wobei das „Zwischen-Reich“ der vielen Faktoren immer mächtiger wurde.

Diese wenigen einleitenden Sätze genügen, um zu verdeutlichen, dass das Verhältnis von Nachhaltigkeit und Rendite nicht ganz so einfach ist, wie eingangs suggeriert wurde. Dazu trägt nicht zuletzt der Umstand bei, dass mit dem Anstieg der Anzahl der analytisch zerlegten Komponenten von „Rendite“ und „Nachhaltigkeit“ die Anzahl der theoretisch möglichen Beziehungen zwischen diesen Komponenten im Quadrat zunimmt. Auch wenn ein Teil dieser Beziehungen uninteressant ist, folgt schon daraus eine Neigung zum Komplexitätswachstum. Als Anleger möchte man es jedoch möglichst einfach haben. Im Folgenden werden wir uns an eine „Verkomplizierung“ des Nachhaltigkeits-Rendite-Zusammenhangs in möglichst simpler Weise heranwagen. Dabei geht es um das Verhältnis von „Factor-Investing“ – bzw. „faktorbasiertem Investieren“ – und ESG.  

Faktorbasiertes Investieren

Durch Diversifikation einer Geldanlage möchte man das Risiko reduzieren. Das Ziel dieser Übung besteht darin, unternehmensspezifische Risiken „wegzudiversifizieren“. Im einfachsten Modellfall, den Finanzwissenschaftler zunächst untersuchten, ist der einzige systematische Risikofaktor der Markt. Der Marktertrag wird dementsprechend mit dem eingegangenen Marktrisiko erklärt. Da es in dieser Modellwelt nur einen Risikofaktor gibt, spricht man auch von einem Ein-Faktor-Modell. Seit den 70er Jahren fand die akademische Forschung vermehrt „Anomalien“, die sich mit dem Ein-Faktor-Modell nicht erklären ließen. Offenbar gibt es neben dem Marktfaktor weitere Risikofaktoren, die langfristig stabile Erträge eines Portfolios über dem Marktertrag ermöglichen. Diese Faktoren bekamen alle englisch klingende Namen wie Value, Momentum, Quality, Low Volatility oder Size. Da die hiermit erklärten „Faktorprämien“ (Mehrerträge über der Benchmark) auch nach Veröffentlichung und Popularisierung der Forschungsergebnisse nicht verschwanden, konnten sie auch nicht (mehr) als Trophäen cleverer Alpha-Jäger dargestellt werden.

Finanzwissenschaftler bauten die „Anomalien“ als zusätzliche Faktoren in ihre Modelle ein: das 1-Faktor-Modell wurde zunächst zum 3-Faktor-Modell hochgerüstet; später gab es 4- oder auch 5-Faktor-Modelle, wobei die gewählten Faktoren variierten. Vor allem Akademiker ersannen und fanden immer mehr und abseitigere Faktoren. Man spricht schon von einem Faktorzoo, bezweifelt die Sinnhaftigkeit vieler Faktoren für die Anlagepraxis, stellt ihre langfristige Stabilität in Frage und versucht, das reichliche Angebot an Faktoren auf die „wirklich relevanten“ zu reduzieren.  

Die eben explizit genannten Faktoren wurden nicht zufällig gewählt; sie vertreten in der Studie, die wir unten besprechen, die „Faktorwelt“. Was besagen diese Faktoren ganz kurz gesagt? Generell, dass Wertpapiere von Unternehmen, die nach bestimmten Kriterien ausgewählt werden, langfristig über dem Marktertrag liegende Renditen versprechen. Bei „Momentum“ werden Titel selektiert, die in der jüngeren Vergangenheit überdurchschnittlich performten; dasselbe erwartet man von ihnen auch für die nächste Zukunft. Bei „Value“ werden Titel ausgewählt, die nach einschlägigen Kenngrößen unterbewertet sind. Bei „Quality“ sind Unternehmen mit guter Finanzperformance (Gewinn, Verschuldung usw.) gefragt. Size (oder „Small Cap“) besagt, dass kleinere Unternehmen höhere Renditen versprechen als größere. Bei „Low Volatility“ werden Titel mit geringeren Ertragsschwankungen bzw. Risiken vorgezogen.

Zwar sind in einem 1-Faktor-Marktportfolio gleichfalls beispielsweise Value-, Quality- oder Small-Cap-Titel enthalten. Eine Faktorprämie kommt jedoch erst dann zustande, wenn die entsprechenden Faktor-Titel – etwa Value-Aktien – stärker gewichtet sind als im Marktportfolio bzw. wenn die unerwünschten Titel schwächer (oder mit null) gewichtet werden.

ESG und Faktoren

Eine Geldanlage gemäß ESG-Kriterien führt gegenüber einer Investition in den breiten „Markt“, der auch nichtnachhaltige Titel enthält, zu einer mehr oder minder stark abweichenden Gewichtung der Wertpapiere. Ausschluss gemäß Nachhaltigkeitskriterien zum Beispiel bedeutet, dass die exkludierten Titel mit null gewichtet werden. Würde man ein nachhaltiges Portfolio im Sinne eines Ein-Faktor-Modells mit dem breiten Markt als Benchmark vergleichen und fiele der Ertrag des nachhaltigen Portfolios dauerhaft höher aus, würde man dies auf Alpha, also die besondere Geschicklichkeit der Manager bei der Wertpapierselektion, zurechnen. Da es aber nicht nur einen, sondern mehrere, potentiell sogar viele systematische Risikofaktoren gibt, verändert sich bei deren Berücksichtigung mit hoher Wahrscheinlichkeit das Ergebnis dieses Vergleichs. In einem Multi-Faktor-Modell verwandeln sich nämlich, wie oben bereits gesagt, vermeintliche Alpha-Erträge des Ein-Faktor-Modells schnell in Faktorprämien, die sich auf verschiedene systematische Risikofaktoren zurückführen lassen. Die Umsetzung von ESG-Kriterien wäre in diesem Fall also mit der Investition in Faktoren äquivalent.

Dass dies kein konstruierter Fall ist, zeigen verschiedene Studien. Im Jahr 2016 etwa fand eine Faktorstudie von MSCI, dass hohe ESG-Bewertungen mit den Faktoren Size, Quality und Low Volatility positiv korrelierten. Im Folgenden stellen wir einige Ergebnisse einer neuen Studie (Link siehe unten) der drei Finanzwissenschaftler Madhavan, Sobczyk und Ang (derzeit alle Black Rock) vor, die den Zusammenhang von ESG und Erträgen gleichfalls aus der Faktorperspektive aufklären. Dieser Untersuchung lagen die Daten von 1.312 aktiv verwalteten US-Aktienfonds im Zeitraum zwischen dem 30.6.2014 und dem 30.06.2019 mit 3.900 Milliarden USD Fondsvolumen zugrunde.

E, S, G und Erträge

Ang und Kollegen erstellten in einem ersten Analyse-Schritt ein Ertragsranking: Sie gruppierten die Fonds im Hinblick auf die Höhe der aktiven Erträge in 10-Prozent-Gruppen (Dezile). Der aktive Ertrag ist die (positive oder negative) Differenz zwischen Fonds-Ertrag und Benchmark-Ertrag. Er setzt sich in der Studie zusammen aus: a) zwei Faktor-Ertragskomponenten (einer statischen und einer dynamischen) sowie b) einer Ertragskomponente, die der Kompetenz aktiver Manager bei der Titelauswahl zugerechnet wird (Alpha).

Die Studienautoren konnten zunächst eine alte Weisheit über aktiv verwaltete Fonds bestätigen: Nur die drei besten 10-Prozent-Gruppen erzielten einen positiven aktiven Ertrag, d.h. sie schlugen den Markt. In allen anderen Zehntel-Gruppen waren die aktiven Erträge negativ. In der Spitzengruppe betrug der annualisierte aktive Ertrag im Untersuchungszeitraum 2,95 Prozent, in der 5ten Gruppe waren es -1,37, in der Schlussgruppe -5,66 Prozent. US-Aktien-Fonds mit schwächerem aktivem Ertrag hatten in der Tendenz auch eine höhere Kostenquote – allerdings war diese auch bei der Spitzengruppe überdurchschnittlich.

Wie mit dem Ertrags-Ranking verfuhren die Autoren auch mit dem Nachhaltigkeits-Ranking: sie teilten die Aktien-Fonds gemäß ihrer Nachhaltigkeits-Bewertungen in 10-Prozent-Gruppen ein. Ein Nachhaltigkeits-Ranking wurde jeweils für die Einzelkomponenten E, S und G durchgeführt. Auf dieser Basis untersuchten die drei Finanzwissenschaftler Zusammenhänge zwischen Nachhaltigkeitsbewertung und Faktorgewichtung.

Für die Umweltkomponente E ergab sich: je höher das Umweltrating der Fonds war, umso höher waren die Gewichtungen der Faktoren Momentum und Quality, in schwächerem Grad galt dies auch für Low Volatility.

Für die soziale Nachhaltigkeit S fanden die Forscher gleichfalls ähnliche Zusammenhänge, aber sie waren weniger ausgeprägt als bei der E-Komponente.

Im Hinblick auf die Governance-Komponente G waren die Zusammenhänge noch schwächer und teils negativ (bei Momentum, Value und Quality).

Variationen der Umweltbewertung konnten zu 75 Prozent mit den berücksichtigten Faktoren erklärt werden. Bei der Sozialkomponente war diese „Erklärungskraft“ mit 26 Prozent und bei der Governance-Komponente mit 14 Prozent hingegen deutlich geringer.

Demzufolge besteht vor allem zwischen dem Umwelt-Rating von US-Aktien-Fonds und Faktorgewichten – insbesondere Momentum und Quality – eine positive Korrelation. Dementsprechend erzielen US-Aktien-Fonds mit höheren Umwelt-Ratings auch höhere Faktorprämien. Und das wiederum bedeutet einen höheren aktiven Ertrag (über der Benchmark).

Die drei Studienautoren stellten zudem für jene ESG-Komponente, die mit Faktoren korreliert, auch einen positiven Zusammenhang mit Alpha fest. Das bedeutet konkreter gesagt: Manager, die z.B. Aktienfonds mit höherem Umweltrating verwalten, erzielen nicht nur höhere Faktorprämien, sondern beim aktiven Management über die Titelauswahl auch höhere Alpha-Erträge.    

Schluss

Investoren können direkt in Geldanlagen mit hohem Nachhaltigkeits-Rating investieren. Wie die Studie von Madhavan, Sobczyk und Ang zeigt, führt dies bei US-Aktien-Fonds mit hohem Umweltrating zu Erträgen über der Benchmark. Diese Mehrerträge sind hauptsächlich auf Faktorprämien durch Momentum-, Quality- und auch Low-Volatility-Titel zurückzuführen. Damit erweist sich eine Investition in Fonds mit hohen Umwelt-Bewertungen als eine vermittelte Form des faktorbasierten Investierens. Investoren können jedoch umgekehrt ebensogut direkt in Faktoren (oder entsprechende Fonds) investieren, die mit Umwelt-Ratings positiv korrelieren. Das faktorbasierte Investieren wird dann zu einer vermittelten Form der nachhaltigen Geldanlage.

Was ist der Vorteil einer solchen Betrachtung durch die „Faktorlinse“? Der Hauptvorteil dürfte darin liegen, dass der Faktor-Ansatz eine bessere und differenziertere Aufklärung der Risiko-Ertrags-Verhältnisse in einem Portfolio ermöglicht. Das erlaubt eine bessere Vergleichbarkeit von Anlagen mit unterschiedlichen Risiken und eine gezieltere Feinsteuerung der Geldanlage.

Einschränkungen für die Studienergebnisse gibt es gleichfalls, aber es sind zu viele, um sie hier aufzählen zu können. Daher wollen wir uns mit zwei begnügen: Die Studie verwendete Nachhaltigkeitsratings von MSCI; andere Anbieter mögen, so die Autoren selber, zu anderen Ergebnissen kommen. Zu beachten ist außerdem, dass Ergebnisse aus Untersuchungen von Märkten in den USA nicht auch für Europa oder andere Regionen zutreffen müssen. Das spricht aber sicher nicht dagegen, die Renditeeigenschaften von nachhaltigen Geldanlagen etwa auch in Europa aus der Faktor-Perspektive zu analysieren.

Link zur Studie: Toward ESG Alpha: Analyzing ESG Exposuresthrough a Factor Lens