„Der Wind hat sich gedreht“
Renditewerk sprach mit Julius van Sambeck von Ethius Invest über die Praxis des nachhaltigen Engagements und über die Auswirkung der aktuellen Weltlage auf die Nachhaltigkeitspräferenz von Unternehmen.
Julius van Sambeck ist Geschäftsführer und Mitgesellschafter der unabhängigen Luzerner Vermögensverwaltung und Fondsinitiatorin Ethius Invest Schweiz GmbH, die auf ethisch-nachhaltige Aktieninvestments spezialisiert ist und insbesondere durch Engagement und Stimmrechtsausübung nachhaltige Wirkung erzielen möchte. RenditeWerk sprach mit Julius van Sambeck über Impact Investing, Engagement, beschlussfähige Aktionärsanträge und auch über die veränderte Einstellung vieler Unternehmen gegenüber Nachhaltigkeitszielen.
RW: Herr van Sambeck, ich möchte mit Ihnen gerne über Engagement und Impact Investing sprechen. Laut aktuellem Marktbericht des Forum Nachhaltige Geldanlagen (FNG) wählten im vergangenen Jahr 90 Prozent (bezogen auf das Volumen) der nachhaltigen Fonds und Mandate in Deutschland „Engagement“ als Strategie, aber nur 1 Prozent „Impact-Investment“. Woher kommt die Differenz?
Julius van Sambeck: Zunächst einmal ist es wichtig festzuhalten, dass es keine einheitliche oder verbindliche Definition des Impact Investments gibt. Damit befasste Initiativen, Fachverbände oder Organisationen legen meist eigene Definitionen vor, die voneinander abweichen. Und in Abhängigkeit von der Definition, die man wählt, kann dann der Anteil des Impact Investings höher oder niedriger sein. Ein weiterer wichtiger Punkt, den man hier nicht außer Acht lassen darf, ist der Unterschied zwischen privaten Märkten und öffentlichen Zweitmärkten. Auf Privatmärkten kann man relativ einfach nachhaltigen Impact erzielen, indem man Kapital zur Verfügung stellt. Sie können beispielsweise in einen geschlossenen Fonds investieren, der mit den eingesammelten Geldern Windräder baut. Dann können Sie ihrem Investmentanteil einen entsprechenden Impact zurechnen. Auf öffentlichen Sekundärmärkten, beispielsweise Aktienmärkten, sieht es anders aus.
RW: Aber es gibt ja auch Impact Investing auf Sekundärmärkten, und darauf bezieht sich die Angabe des FNG. Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Aktionäre, die eine nachhaltige Wirkung mit ihrer Geldanlage anstreben, dies über Engagement am ehesten erreichen können.
JvS: Ja, das ist richtig. Man kann über Engagement und Abstimmung auf einem Zweitmarkt Impact erzielen. Wenn beispielsweise über eine Kapitalerhöhung einer Aktiengesellschaft abgestimmt wird, können nachhaltige Anleger mitgehen oder sich auch dagegen aussprechen. Man kann dann untersuchen, welchen Impact die Kapitalerhöhung bzw. ihre Verhinderung hat. Was jedoch häufig unterschätzt wird, sind die Schwierigkeiten, einem dialogischen Engagement von Anlegern zweifelsfrei eine spezifische Wirkung zuzurechnen. Oder andersherum: eine bestimmte Wirkung ursächlich auf das Engagement eines bestimmen Investors zurückzuführen. Man kommt zwar nicht umhin, Vermutungen und Einschätzungen über die Kausalität anzustellen, das machen wir auch. Aber die vermutete Kausalität sicher nachzuweisen, ist meistens praktisch unmöglich.
RW: Aber ist es nicht zwingend, beim Impact die Wirkung zu messen und das auf Investoraktivitäten zuzurechnen? Impact Investoren möchten ja schließlich Wirkung erzielen, und daher auch prüfen, ob das gelingt.
JvS: Ich tue mich schwer mit dem Anspruch, den Impact messbar auf einzelne Investoren eines großen Aktionariats exakt zurechnen zu wollen. Selbst wenn das gelingen würde, wäre es in den meisten Fällen viel zu aufwändig. Wer den Nachweis eines eindeutigen Ursache-Wirkungs-Zusammenhangs zur Voraussetzung machen wollte, würde nachhaltiges Engagement in vielen Fällen gleich von vorneherein verhindern. Das wäre eine Engagementbremse und deshalb auch eine Nachhaltigkeitsbremse. Aber nicht nur das. Die Fixierung auf einen bestimmten messbaren Nachhaltigkeits-Impact kann auch das Gegenteil des Beabsichtigten bewirken. Ich möchte Ihnen ein Beispiel geben. Die Verbreitung des Begriffs Impact Investment ist eng mit dem Thema Mikrofinanz verbunden. Da kann man die Wirkung z.B. über Kreditvergabe vordergründig gut ermitteln. Das ganze Modell funktioniert aber nur, wenn die Zinsen signifikant über dem Referenzzins liegen, das sind derzeit vielleicht 15 bis 20 Prozent. Da ist man dann schon im Wucherbereich. Kreditnehmer können bei diesen Zinssätzen die Tilgung kaum stemmen. Als Folge wird ein immenser sozialer Druck aufgebaut, um die Schulden einzutreiben. Und dieser Druck ist dann eben auch ein Impact, aber sicher kein Impact im Sinne von Nachhaltigkeit, wie wir sie verstehen. Und dieser Impact wird auch nicht gemessen, protokolliert und in Berichten als Effekt dieser Geldanlage ausgewiesen. Ich bin da sehr kritisch. Das lehnen wir ab. Ähnlich ist es auch bei einigen anderen Themen, etwa beim Wasser. Das sind Sachen, die gehören nicht in private Hände. Da wird dann der gemessene Impact schnell zu einem reinen Marketing-Instrument.
RW: Kommen wir zum Engagement, also zur Aktionärsmitwirkung. Wie hat man sich Engagement konkret vorzustellen? Wie machen Sie das? Wie viele „Engagements“ führen Sie überhaupt durch?
JvS: Wir verfolgen aktuell 1 bis 2 Fälle pro Monate, wobei wir zunächst die Priorität eines Falles untersuchen. Dabei wenden wir zwei Kriterien an: Wichtigkeit eines Anliegens und Aussicht auf Erfolg. Wir schauen uns unsere 50 Unternehmen des Bestands an, für die wir neben öffentlich zugänglichen Stärken-Schwächen-Profilen auch erweiterte Schwächeprofile erstellen. Eine Schwäche ist beispielsweise in einem konkreten, von uns aktuell verfolgten Fall eine krebserzeugende Substanz in einem Produkt von einem unserer Bestandsunternehmen, zu dem sogar bereits ein gerichtlicher Vergleich in den USA vorliegt.
Gegebenenfalls tauschen wir uns im Vorfeld mit einer Rating-Agentur aus, die wir auf die kritischen Punkte hinweisen, in der Hoffnung die Qualität des ESG-Ratings damit sukzessive zu verbessern.
Eine weitere Frage, die wir in diesem Stadium klären, ist, ob wir mit anderen Investoren ein Co-Engagement durchführen, um somit die Schlagkraft zu erhöhen. Dann verfassen wir einen Brief, der 1 bis 5 Seiten Länge hat, zu lange darf er auch nicht sein. Der Brief beinhaltet die Ergebnisse unserer Recherchen und unsere Kritik. Wir schicken diesen Brief an die Investor-Relations-Abteilung oder bereits an eine spezielle Abteilung innerhalb des Unternehmens. Der Konzern nimmt dann dazu Stellung …
RW: … und was ist, wenn der Konzern keine Stellung bezieht?
JvS: Dann schreiben wir nochmals einen Brief. Wenn dieser gleichfalls ignoriert wird, erfolgt eine Reaktion im Rahmen der Hauptversammlung.
Nach der Stellungnahme überlegen wir, wie es weiter geht. Die Reaktionen sind oft recht verschieden.
Wenn ein Unternehmen kooperativ ist, schauen wir, wie unsere Vorschläge umgesetzt werden.
Wenn das Verhältnis eher konfrontativ ist oder der Dialog zu keinem für uns befriedigenden Ergebnis führt, ist es wichtig, eskalieren zu können. Der Weg geht dann über einen beschlussfähigen Antrag.
Wenn nichts von dem, was wir fordern, umgesetzt wird und die Vorwürfe schwerwiegend sind, überlegen wir uns in letzter Instanz weitere Schritte wie die Kontaktaufnahme zu unserem Indexpartner des Global Challenges Index zwecks Divestment. Ich muss allerdings gestehen, dass ich keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Divestments kenne.
RW: Wie groß ist denn überhaupt der Aufwand für Engagement?
JvS: Das ist sehr unterschiedlich, es kommt auch darauf an, wie tief man in einen Fall eintaucht, wie sehr man sich mit den Details beschäftigt und ob man als eigenständiges Haus den Anspruch hat, auch investigativ tätig zu werden. Aber es hängt auch davon ab, wie man vorgeht. Wenn wir mit anderen Investoren kooperieren, ist der Abstimmungsaufwand größer. Wir kooperieren aber nicht nur mit Investoren. Im Fall des Kupferherstellers Aurubis, bei dem wir uns die Lieferketten anschauten, fanden wir menschenunwürdige Arbeitsbedingungen in peruanischen Kupferminen. In diesem Fall arbeiten wir auch mit einer NGO zusammen.
RW: Engagement kann Verschiedenes beinhalten. Der Markt-Bericht des FNG zerlegt Engagement in 10 Unterkategorien. Das beginnt mit dem „nichtöffentlichen Dialog“, der für 98 Prozent des nachhaltigen Volumens gewählt wird, geht u.a. über die „Einbringung von Abstimmungspunkten auf der Hauptversammlung“ mit 41 Prozent und endet mit dem „öffentlichen Anprangern“, das 0 Prozent erzielt, also nicht angewandt wird. Wo ordnen Sie sich auf dieser Skala ein?
JvS: Das Problem bei dieser Aufstellung ist: Das Allerwichtigste fehlt. Das ist der beschlussfähige Antrag. Der von Ihnen erwähnte Unterpunkt „Einbringung von Abstimmungspunkten auf der Hauptversammlung“ ist zu allgemein. Auch ein Gegenantrag zu einem Tagesordnungspunkt fällt darunter, den kann jeder Aktionär stellen. Aber ein beschlussfähiger Aktionärsantrag ist etwas anderes und an weitere Voraussetzungen geknüpft. Er erlaubt es, einen eigenen Gegenstand auf die Tagesordnung zu setzen, wofür eine Begründung und eine Beschlussvorlage erforderlich ist. Er ist das wichtigste Instrument, das wir im Rahmen eines Engagements einsetzen können. Erst mit dem beschlussfähigen Antrag steht auch ein eskalatorisches Instrument zur Verfügung, das dem Engagement Wirkmöglichkeit verleiht.
RW: Was sind das für Voraussetzungen, die für einen beschlussfähigen Antrag gelten?
JvS: Das hängt von den Gesetzen in den zuständigen Rechtsräumen ab. Die sind auch innerhalb Europas verschieden, selbst in den drei deutschsprachigen Ländern sind die Differenzen erheblich. In Deutschland sind nach Paragraph 122 Aktionärsgesetzbuch für einen beschlussfähigen Aktionärsantrag 500.000 Euro oder 20 Prozent Aktienanteil Voraussetzung, das ist eine sehr hohe Hürde. In anderen Ländern, besonders in den angelsächsischen, sind die Hürden niedriger. In den USA sind 25.000 US-Dollar erforderlich, in Großbritannien reichen 100 Unterschriften im Aktionariat für einen Antrag. Da haben Aktionäre deutlich mehr Mitwirkungsmöglichkeiten. Der Gesetzgeber sollte sich daran unserer Meinung nach auch in Deutschland orientieren und über eine Gesetzesänderung die aktive Aktionärsdemokratie stärken. Das führt dann auch, wie etwa das Beispiel USA zeigt, sukzessive zu einer aktiveren Praxis, wie der alljährliche Bericht „Proxy Season in Review“ des Harvard Law School Forum on Corporate Governance veranschaulicht. Denn auch wenn in Krisenzeiten wie wir sie aktuell durchleben die Zustimmung der Aktionärsanträge tendenziell abnimmt, steigt die Anzahl der eingereichten Anträge seitens der Aktionäre seit vielen Jahren kontinuierlich an.
RW: Was ist denn das Besondere an einem beschlussfähigen Antrag gerade im Rahmen eines Nachhaltigkeits-Engagements?
JvS: Ein Dialog mit dem Management eines Unternehmens erfolgt in der Regel nichtöffentlich. Mit einem beschlussfähigen Antrag geht man in die Aktionärsöffentlichkeit und das eigene Anliegen kommt als gesonderter Tagesordnungspunkt bei der Hauptversammlung zur Abstimmung. Erst der beschlussfähige Antrag verleiht dem Engagement Durchsetzungschancen. Bei einem nichtöffentlichen kontroversen Dialog wirkt allein die Möglichkeit, dass man gegebenenfalls einen beschlussfähigen Antrag stellen kann, als Drohpotential im Hintergrund. Andernfalls sieht ein widerstrebendes Management keinen Grund, einzulenken. Engagement ohne beschlussfähigen Antrag läuft deshalb die Gefahr ins Nirgendwo hinauszulaufen. Sofern es nun im Dialog mit dem Management dennoch zu keiner Einigung kommt und weiterhin kontroverse Sichtweisen bestehen, können wir im nächsten Schritt mit dem beschlussfähigen Antrag eskalieren. Und da müssen Sie dann vor die Hauptversammlung treten, die Aktionäre überzeugen und abstimmen lassen.
RW: Dann richtet sich also der erste große Schritt des Engagements, der nichtöffentliche Dialog, primär an das Management. Der zweite große Schritt, der beschlussfähige Antrag, richtet sich hingegen an das Aktionariat. Ist also, wenn man das Management bereits im ersten Schritt auf seiner Seite hat, Engagement im Wesentlichen beendet?
JvS: Nicht unbedingt. Bevor ich Ihnen erkläre weshalb, sollte ich vorher kurz ein grundsätzliches Governance-Verhältnis ansprechen. Das Management einer Aktiengesellschaft sieht sich häufig gerne als Spitze der Unternehmenshierarchie, die auch dem Aktionariat vorgeordnet ist. Die Idee der Aktionärsdemokratie ist aber, dass das Aktionariat der „Souverän“ einer Aktiengesellschaft ist. So sehen es auch die Gesetze vor. Und das sollte aus unserer Sicht stärker betont werden und auch aktiver genutzt werden.
Aber nun kommt ein Haken. Bei Demokratie denkt man vielleicht spontan an Gleichheit der Stimmen. In der Aktionärsdemokratie ist aber der Stimmenanteil abhängig vom Aktienanteil. Und das kann zum Problem werden. Denn die drei großen ETF-Anbieter aus den USA (BlackRock, Vanguard und State Street) haben in den letzten Jahren eine Marktmacht erlangt, die mittlerweile schon extrem ist. Sie können damit untereinander andere Aktionäre leicht aushebeln und leicht Mehrheiten organisieren. Da kommt man schwer dagegen an. Hinzu kommt, dass diese ETF-Anbieter zwar ihre eigenen, aber eben damit auch hauptsächlich US-Interessen verfolgen. Das bereitet viel Kopfzerbrechen.
RW: Dann sind also beim „Unternehmensdialog“ nicht nur Manager, die bestimmte Nachhaltigkeitsverbesserungen nicht wollen, das Problem, sondern unter Umständen auch Großaktionäre auf Verhinderungskurs.
JvS: Ja, und das kann manchmal zu ungewöhnlichen Konstellationen führen. Ich möchte Ihnen auch dafür ein Beispiel geben. Das dänische Energieunternehmen Örsted, das im Windkraftanlagenbau führend ist, hat sich zum Ziel gesetzt, die Kohleverstromung zu beenden. Der Mehrheitsaktionär bei Örsted ist der dänische Staat, und der möchte nun aufgrund der herausfordernden Energiebeschaffung in Europa die Kohlenutzung noch für einige Zeit verlängern. Da der dänische Staat aber die Mehrheit im Aktionariat hat, ist das Management gezwungen, diese Entscheidung auch umzusetzen. Bei Örsted ist es nun allerdings so, dass das Management eine Verschiebung dieses Ausstiegs mehrheitlich gar nicht möchte. Viele Personen der Leitungsebene sind nur unter der Voraussetzung ins Unternehmen eingetreten, dass sich Örsted in einen nachhaltigen Energieproduzenten verwandelt. Auch viele Aktionäre unterstützen diesen Nachhaltigkeitskurs. Bei Örsted besteht also der Dissens nicht zwischen nachhaltigen Investoren und dem Management, sondern zwischen nachhaltigen Aktionären und dem Management auf der einen Seite und dem Mehrheitsaktionär Staat auf der anderen Seite. Wir sind sehr gespannt, inwiefern wir im Rahmen unseres Engagements dazu beitragen können, den dänischen Staat zu überzeugen, die bisherige Marschtabelle des Kohleausstiegs beizubehalten.
RW: Wie wollen Sie denn als kleinerer Fondsanbieter überhaupt wirkungsvolles Engagement betreiben? Gibt es Strategien, um beim Management und anderen Aktionären Gehör zu finden.
JvS: Wir engagieren uns dort, wo wir reale Chancen sehen, dass wir mit unserem Anliegen durchkommen. Dazu müssen die Chancen auf Veränderungen und auch auf Mehrheiten gut sein. Wo das Management wohlwollend ist und auch die Aktionäre nachhaltigen Strategien gegenüber aufgeschlossen sind, ist das einfacher. Wir bevorzugen Unternehmen, bei denen wir glauben, dass wir das Zünglein an der Waage sein können. Wo also nur noch ein Schubser erforderlich ist, um ein nachhaltiges Ziel umzusetzen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass man Hebel benützt. Ein Hebel, um Forderungen mehr Gewicht zu geben, ist, wie ich schon darlegte, der beschlussfähige Antrag. Ein weiterer Hebel sind Kooperationen beim Engagement. Und schließlich nutzen wir als Hebel Gesetze, die zu mehr Nachhaltigkeit verpflichten.
RW: Was sind das für Gesetze? Können Sie auch das an einem Beispiel veranschaulichen?
JvS: Ja gerne, ein gutes Beispiel ist das neue Lieferkettengesetz – oder ganz korrekt: das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz – das in Deutschland seit Januar 2023 gilt. Das ist ein Hebel, der wirksam ist. Ich habe vorher schon gesagt, dass wir beim Kupferhersteller Aurubis die Lieferketten untersuchten und in peruanischen Minen Menschenrechtsverletzungen feststellten. Wir gehen jedoch in diesem Fall davon aus, dass der Geschäftsführung von Aurubis diese Vorfälle nicht gut bekannt waren. Wir legen dem Unternehmen dann zuerst die von uns recherchierten Informationen vor.
Denn für viele Unternehmensführungen sind die Nachhaltigkeitsprofile in ihren Lieferketten noch nicht ausreichend transparent. Und das ist nach unserem Eindruck häufig nichtbewusstes Nichtwissen, es handelt sich also nicht um bewusstes Nichtwissen, bei dem man lieber nicht hinschaut, weil man im Grunde weiß, dass die Sachen nicht in Ordnung sind.
Wir nehmen hier also auch eine gewisse Aufklärungsfunktion wahr und helfen dabei, Informationsdefizite in Unternehmen zu beseitigen. Damit kann man auf das Management durchaus Einfluss ausüben. Denn bei angezeigten und nachgewiesenen Verstößen der im Gesetz vorgeschriebenen Sorgfaltspflichten müssen die deutschen Unternehmen mit empfindlichen Sanktionen rechnen, die sich auf bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes belaufen können. Für Unternehmen ist das ein erhebliches Risiko. Derzeit wird sowieso noch massiv unterschätzt, dass das Lieferkettengesetz ein großes Thema für das Risikomanagement ist.
RW: Wie reagieren denn die Unternehmen, bei denen sie aktiv werden, generell auf Ihr Nachhaltigkeits-Engagement?
JvS: Die reagieren unterschiedlich. Aber was wir derzeit wirklich merken ist: Der Wind hat sich gedreht. Seit ungefähr einem Jahr stellen wir fest, dass uns deutlich mehr Wind ins Gesicht bläst. Wir sehen bei vielen Unternehmen eine Absetzbewegung in Sachen ESG. Viele Investor-Relations-Abteilungen gewichten jetzt andere Leistungskriterien höher, ESG-Ratings haben an Wichtigkeit verloren. In so einem Umfeld wird das Instrument des beschlussfähigen Antrags demnach noch wichtiger.
RW: Wie schätzen Sie in absehbarer Zukunft überhaupt die Chancen für nachhaltige Engagements ein? Wird der Gegenwind zunehmen, müssen nachhaltige Investoren häufiger als bisher gegen den Wind kreuzen, um vorwärts zu kommen?
JvS: Die Antwort auf diese Frage hängt für uns stark von der möglichen weiteren Eskalation der vielen weltweit anhaltenden Konflikte ab. In Zeiten von neuen Landkriegen in Europa hat das Interesse für die Implementierung eines „European Green Deal“ aktuell stark abgenommen. Stabilität, sozialer Frieden und eine freiheitlich-demokratische Grundordnung sind alle „conditiones sine quibus non“ für eine gelebte Nachhaltigkeit auf allen Ebenen – der Klimafaktor Militär ist hingegen eine nicht zu unterschätzende operative Realität.