Das Dividenden-Märchen

Von Stephan Albrech, Vorstand der Albrech & Cie Vermögensverwaltung AG in Köln.

Blättert man dieser Tage in einem Finanzmagazin oder surft auf Finanzseiten im Internet, stößt man rasch auf das Thema Dividenden. Über 60 Milliarden Euro sollen Aktienunternehmen in Deutschland in diesem Jahr ausschütten. Welchem nicht-professionellen Anleger ist es da zu verdenken, wenn er oder sie bei diesen Aussichten feuchte Augen bekommt und der Dividendenzahlung entgegenfiebert? Verstärkt wird dieses Fieber von Fondsgesellschaften, ETF-Anbietern, Banken, Unternehmen und Finanzmagazinen, die an der Story von attraktiven Dividenden gut verdienen.

Dividenden sind keine Zinsen

In dem allgemeinen Lobgesang wird gerne vergessen, dass Dividenden kein zusätzlicher Ertrag wie ein Zins sind, der von jemand anderem gezahlt wird. Vielmehr sinkt der Aktienkurs am Tag der Ausschüttung (ex-Dividende) um eben diesen Betrag. Somit bezahlt der Anleger sich selbst, denn die Gesamtsumme, über die er verfügen kann, bleibt gleich. Ein Beispiel macht das klar: Ein Anleger hält 100 XYZ-Aktien zu je 100 Euro. Am Tag der Ausschüttung von 5 Euro pro Aktie werden ihm 500 Euro aufs Verrechnungskonto überwiesen. Dafür verringert sich der Wert der Aktien im Depot auf 9.500 Euro. Die Summe von 10.000 Euro bleibt gleich. Ein klassischer Fall von „linke Tasche, rechte Tasche“. Mit dem feinen Unterschied, dass jetzt nur 9.500 Euro produktiv in der Firma arbeiten können. In dem Unternehmen vermindern die Dividenden das Kapital, das rentabel investiert werden kann. Angenommen, das Unternehmen erzielt mit seiner Geschäftstätigkeit eine jährliche Rendite von 20 Prozent. Dann bedeutet die Zahlung einer Dividende von 5 Prozent an die Anleger, dass nicht mehr 100, sondern nur noch 95 Prozent des Kapitals mit 20 Prozent verzinst werden. Dadurch werden im kommenden Jahr nur noch 114 statt 120 Einheiten (95 mal 1,2) erwirtschaftet. Star-Investor Warren Buffett hält daher wenig von Dividendenzahlungen und zieht es vor, das Kapital höher verzinst in seiner Holding Berkshire Hathaway arbeiten zu lassen. Der Erfolg gibt ihm Recht.

Das Geld sollte im Unternehmen bleiben

Aus den oben genannten Gründen sind langfristig orientierte Anleger besser bedient, wenn sie Aktien von Unternehmen kaufen, die auf Ausschüttungen verzichten und stattdessen das Geld mit einer höheren Verzinsung in das eigene Geschäft investieren und/oder eigene Aktien zurückkaufen. Letzteres spricht dafür, dass die Führung Vertrauen in die Aussichten des Unternehmens hat, und es verknappt die Zahl der Aktien. Dadurch steigt bei einem gleichbleibenden oder höheren Gewinn der Gewinn pro Aktie, was den Kurs beflügelt. Durch diese beiden Arten, Firmengewinne ins eigene Geschäft zu investieren (Thesaurierung), nutzen Anleger auf Dauer den Zinseszins-Effekt deutlich besser, als wenn sie sich Dividenden zahlen lassen. Wer regelmäßig Ausschüttungen möchte, sollte einen angemessenen Teil des Vermögens besser in gut verzinste Anleihen oder auf Konten anlegen. Aus diesem eher risikoarmen Vermögensteil kann Geld für den Konsum zufließen.

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