Brauchen wir einen Führerschein fürs Stiftungsvermögen, Herr Wriedt?
Christian Wriedt ist Vermögensverantwortlicher in mehreren Stiftungen und seit Jahrzehnten in der 550 Millionen Euro schweren Körber-Stiftung engagiert. Wir sprachen mit ihm über die Herausforderungen der künftigen Stiftungsanlage.
RenditeWerk: Herr Wriedt, wie wird eine durchschnittliche Stiftung in zehn Jahren vermögenstechnisch aufgestellt sein?
Christian Wriedt: Sie wird kurzgesagt weniger Anleihen und mehr Sachwerte, also Immobilien und Aktien, halten.
RW: Das heißt sie rechnen nicht damit, dass sich die Zinsseite „normalisiert“?
CW: „Normalisierung“ würde bedeuten, dass sich die Gründe für die seit 30 Jahren andauernde, rückläufige Zinsentwicklung umkehren. Aber die Globalisierung und das Internet, die zusammen weltweit transparente Märkte geschaffen haben, die die Preisüberwälzungsspielräume von Unternehmen erheblich verringert haben, werden nicht mehr verschwinden. D.h. langfristig, also unabhängig von der aktuellen Situation, bleibt die Inflation auf einem relativ niedrigen Niveau, womit auch Zinsen auf niedrigem Niveau bleiben.
RW: Aber gerade steigen die Zinsen ja wieder.
CW: Ja, aber das sind kurzfristige Effekte. Anstatt auf wieder steigende Zinsen zu hoffen, sollten wir überhaupt einmal begreifen, dass für eine auf die Ewigkeit angelegte Stiftung ein Anleihen-Investment grundsätzlich eine zutiefst unsichere Anlage ist. Bedenken Sie: Kein Anleiheportfolio hat in Deutschland jemals 100 Jahre überstanden. Dieses Anlagesegment ist von Kriegen, Wirtschaftskrisen, Währungsreformen und anderen kleinen oder größeren Katastrophen regelmäßig vernichtet worden. Sehen sie sich die ältesten noch existierenden Stiftungen hierzulande an. Die besitzen Unternehmen, Immobilien, Ländereien oder Weinberge, aber sicher keine Staatsanleihen als Grundstockvermögen. Der Stiftungssektor leidet ein wenig darunter, dass die Banken angesichts der Perspektive ihrer Kunden suggerieren (müssen), Anleihen seien sicher und Aktien eher unsicher.
Die richtige Mischung zwischen Wachstum und Dividenden muss jede Stiftung für sich selbst finden.
RW: Also die Aktienseite stärken?
CW: Ja, Aktienquoten sollten ausgebaut werden. Stiftungen sollten vielleicht zusammen mit einem Vermögensverwalter idealerweise Aktien suchen, die zur Stiftung, zu deren Anlagerichtlinien und zu deren Zweckerfüllungsbedürfnissen passen und gleichzeitig langfristig die größten Wachstumsaussichten haben. Häufig besteht da ein Widerspruch zwischen Dividendenwerten, die viel laufende Erträge ausschütten und Aktien, die besonders gute Wachstumsaussichten haben. Die richtige Mischung zwischen Wachstum und Dividenden muss jede Stiftung für sich selbst finden.
RW: Wird die Haltedauer eines Investments in Zukunft auch kürzer werden?
CW: Ich hoffe und glaube das nicht. Bisher haben Stiftungen zumeist etwa im Anleihebereich nach der Devise buy and hold angelegt. Aber auch mit einem aggressiven Tradingansatz dürfte aus diesem Anlagesegment kaum etwas zählbares rauszuholen sein. Zu Ihrer Frage: Nein, ich habe früher mal gelernt: Hin und her macht Taschen leer. Und das gilt auch heute noch. Stiftungsanlage bleibt grundsätzlich Vermögensanlage mit ruhiger Hand.
RW: Gehören Kryptowährungen wie der Bitcoin in ein künftiges Stiftungsportfolio?
CW: Einerseits bewegt sich die Welt in einer Geschwindigkeit, die vieles, was heute nicht vorstellbar ist, morgen Realität sein lässt. Andererseits aber ist zumindest auf dem heutigen Entwicklungsstand der sogenannte Kryptobereich eine Art Währungscluster. Währungen sind aus meiner Sicht für Stiftungen keine geeignete Anlageklasse, weil ich mir etwa durch ein Fremdwährungsinvestment ein zusätzliches Risiko, aber keine systematischen zusätzlichen Ertragsbringer ins Portfolio hole. Also nein, eher keine Bitcoins.
RW: Gold?
CW: Tja, Gold schützt mich vor der Inflation, aber es bringt eben keinen laufenden Ertrag. Ich würde es Stiftungen eher nicht raten.
RW: Und die nachhaltige Vermögensanlage? Ist die in zehn Jahren noch relevant?
CW: Zunächst: Das Schlagwort ESG hat eine unglaubliche Karriere gemacht, das hätte ich mit dieser Wucht nicht erwartet. Ich kann das ein Stück weit nachvollziehen, warne aber vor zu großem Optimismus, dass es jetzt und künftig so bestimmend bleibt. Ich werde hin und wieder nach einem Ratschlag in Sachen ESG gefragt. Da sage ich „Guckt, was der norwegische Staatsfonds macht, das ist doch eine gute Grundlage“.
RW: Vor einem Jahrzehnt gab es ja mal einen Hype um die sogenannten Stiftungen der US Elite-Unis. Können die ein Vorbild sein?
CW: Ich halte die für ein Vorbild, ja. Ich weiß nicht, ob die starke Neigung, in Private Equity zu investieren, für jede Stiftung und insbesondere für die kleineren Stiftungen hier in Deutschland richtig und umsetzbar sind, aber generell sind die Stiftungen der Eliteunis auf dem richtigen Weg.
RW: Zwischenzeitlich haben die ja mal kräftig verloren.
CW: Ja, das ist das Problem mit der Prozyklik. Eigentlich müssten Aktienanlagen am stärksten nach einem Crash vorgenommen werden. Aber genau da empfiehlt sie keiner. Man wird zum Kauf gedrängt, wenn die Kurse nach langem Anstieg schon sehr hoch sind. Das sollte auch jede Stiftung wissen. Jetzt umzustellen ist langfristig wahrscheinlich die richtige Entscheidung, aber kurzfristig muss man vielleicht sehr stark sein. Insofern: Langfristig sind diese Vermögen, die stark sachwertorientiert anlegen, auf einem guten Weg.
Ich halte es für richtig, etwa nach dem strengen Niederstwertprinzip zu bewerten.
RW: Die Vermögensanlage findet ja auch in einem bestimmten Umfeld und unter bestimmten Rahmenbedingungen statt. Ändert eine so veränderte strategische Anlageklassenauswahl eigentlich auch etwas zum Beispiel an der notwendigen Rechnungslegung?
CW: Allerdings! Durch die stärkere Sachwertorientierung werden die Depots ja zum Beispiel auch schwankungsanfälliger. Darauf sollten Stiftungen auch in der Systematik ihrer internen Rechnungslegung reagieren. Ich halte es für richtig, etwa nach dem strengen Niederstwertprinzip zu bewerten, um auch in schwächeren Börsenjahren das Abschreibungsrisiko möglichst klein zu halten. Dazu gehört für mich aber auch die grundsätzliche Dotierung freier Rücklagen im gesetzlich vorgegebenen Rahmen, aber auch die konsequente Dotierung einer Rücklage aus Umschichtungsgewinnen, um Reserven anzusammeln, die helfen Schwankungen volatiler Märkte aufzufangen.
RW: Muss sich der gesetzliche Rahmen noch weiter ändern?
CW: Ich halte den gesetzlichen Rahmen für den Bereich Vermögensverwaltung für ausreichend weit gesteckt. Nach meiner Erkenntnis steht in keinem Stiftungsgesetz etwas über eine zu haltende Aktien- oder Anleihequote. Vorgabe ist allein: Das Vermögen ist zu erhalten. Meist ist nicht einmal die Frage beantwortet, ob das real oder nur nominell zu geschehen hat. Änderungsbedarf besteht aus meiner Sicht eher bei den Stiftungsverantwortlichen. Die müssen, wenn man so will, ihre unternehmerische DNA entdecken, den Mut haben, nach einer Entscheidung, die von den zuständigen Stiftungsgremien mitgetragen wird, die richtige Vermögensauswahl zu treffen. Diese Verantwortung kann man nicht auf den Staat abladen.
RW: Apropos Entscheider: Wäre da ein höherer Professionalisierungsgrad wünschenswert?
CW: Tja, früher war das so einfach mit der Vermögensanlage für Stiftungen. Wenn die Zinsen über sechs Prozent lagen, ist man in die langen Laufzeiten gegangen. Lag das Zinsniveau darunter, hat man eher in kürzeren Durationen angelegt. Heute braucht es mehr und nach meinem Eindruck täte mehr Fachwissen auf Stiftungsseite sehr gut, ja.
RW: Braucht es vielleicht so etwas wie einen Führerschein zur Steuerung des Stiftungsvermögens?
CW: Jede Qualifikation macht einen Bewerber für die Stiftung als Arbeitskraft interessanter. Aber einen verpflichtenden Führerschein? Nein, ich glaube nicht, dass das wünschenswert oder auch nur durchsetzbar wäre.
Man kann das Problem der Vermögensanlage nicht durch die Bestellung eines externen Vermögensverwalters lösen
RW: Muss es mehr freiwillige Angebote in die Richtung Qualifizierung zur Vermögensanlage geben?
CW: Der Bundesverband macht ja schon einiges. Das könnte durchaus noch ergänzt werden. In dem Zusammenhang wichtig festzuhalten: Man kann das Problem der Vermögensanlage nicht durch die Bestellung eines externen Vermögensverwalters lösen. Zum einen entbindet das das verantwortliche Gremium in der Stiftung nicht von der Verantwortung. Und zum anderen muss das reine Asset Management ja auch durch die richtige Struktur in der internen Rechnungslegung – siehe oben –ergänzt werden. Eigentlich müssten mehr Sätze in den Anlagerichtlinien und in der Stiftungssatzung wie dieser stehen: Für die Vermögensverwaltung einer Stiftung ist entsprechend qualifiziertes Personal zu rekrutieren.