Blaue Anleihen

Im Bereich der nachhaltigen Anleihen möchte eine neue Farbcodierung reüssieren

Bild: Paslin, Seychellen; Foto: Tobi 87, CC BY-SA 4.0

Am 29. Oktober 2018 gab die Republik Seychellen mit Hilfe der Weltbank eine Anleihe aus, deren Ziele der Meeresschutz und nachhaltige Meeresbewirtschaftung sind. Mit der bis 2028 laufenden, mit einem 6,5-Prozent-Kupon versehenen Anleihe sammelte der Inselstaat 15 Millionen US-Dollar ein. Die Emission der Anleihe erfolgte im Rahmen eines umfassenderen Finanzierungs-Programms (Blue Finance Initiative) zum Meeresschutz rund um die Seychellen. Die Anleihe gilt als erste blaue Anleihe, als erster Blue Bond.

Über ein Jahrzehnt zuvor, im Jahr 2007, war der erste Green Bond ausgegeben worden. Der Markt für Green Bonds ist zwischenzeitlich stark gewachsen und hat sich relativ schnell etabliert. Zwar expandierte auch der Blue-Bond-Markt seit 2018, aber er ist vom Volumen her noch klitzeklein. Zu klein, wie Verfechter der blauen Anleihen meinen, um der Größe der Meeres-Probleme und auch der Meeres-Chancen nur näherungsweise gerecht werden zu können.

Der Markt der blauen Anleihen

In einem Überblicksartikel zu Blue Bonds, der soeben im Journal of Risk and Financial Management erschienen ist, präsentieren Pieter Bosmans und Frederic de Mariz von der Columbia University, USA, eine Bestandsaufnahme des Marktes für Blue Bonds.

Im Jahr 2021 wurden nachhaltige Kreditinstrumente im Wert von rund 1,6 Billionen USD neu aufgelegt. Davon entfielen 70 Prozent bzw. mehr als 1,1 Billionen USD auf nachhaltige Bonds. Die wiederum kann man untergliedern in Social Bonds, Sustainability Bonds, Sustainability-linked Bonds sowie Green Bonds. Letztere waren 2021 mit einem Emissionsvolumen von rund 620 Milliarden USD die größte Bond-Kategorie. Im Vergleich dazu ist der Markt für Blue Bonds noch verschwindend klein.

Zwischen 2018 und 2022 wurden nach der Datenbasis der Studienautoren 26 Blue Bonds emittiert, deren Gesamtwert ungefähr 5,0 Milliarden USD ausmacht. Das Volumen der einzelnen Blue Bonds liegt zwischen 10 Millionen und 943 Mio. USD. Der Median beträgt 123 Millionen USD, der Durchschnittswert 193 Millionen USD.

Die Laufzeit der 26 Blue Bonds liegt zwischen 2 und 20 Jahren, der Laufzeit-Median bei 7 Jahren. Der Kupon streut zwischen 0,10 und 9 Prozent, bei einem Median von 3,15 Prozent.

Mehr als die Hälfte der von Bosmans und Mariz erfassten Blue Bonds wurde von internationalen Finanzinstitutionen emittiert (Weltbank, Asiatische Entwicklungsbank usw.), nur fünf BB von Unternehmen, der Rest von staatlichen Organisationen oder auch Umweltorganisationen. Diese Verteilung zeigt, dass sich die Entwicklung des Marktes für blaue Anleihen noch im Frühstadium befindet. Denn Private steigen erst dann vermehrt ein, wenn der Markt eine gewisse Reife erreicht hat. Internationale oder staatliche Institutionen erweisen sich in diesem Frühstadium gewissermaßen als Geburtshelfer und Früherzieher, die den Bond-Markt in die Phase der Reife überführen müssen.

Potentiale und Themenstruktur der Blue Bonds

Was spricht für das Wachstumspotential des Marktes für blaue Anleihen?

Die Autoren führen insbesondere zwei Argumente an:

Erstens bestehe eine sehr große Finanzierungslücke für Investitionen rund um Ozeane. Demzufolge gibt es weit mehr aus Nachhaltigkeitsgründen erforderliche Projekte, als gegenwärtig finanziert werden. Blue Bonds könnten helfen, diese Lücke bei der Finanzierung zu verringern.

Zweitens sei das wirtschaftliche Potential eines nachhaltigen Ozeans immens. Gegenwärtig mache bereits die globale Meeresökonomie (mit ihren Nachhaltigkeitsdefiziten) 5 bis 6 Prozent der globalen Realökonomie aus. Blue Bonds könnten hier zum Nachhaltigkeitswandel beitragen und zudem dabei helfen, neue Wachstumsfelder zu erschließen.

Vor diesem Potential-Hintergrund ist zu fragen, in welche Projekte bzw. Themen bisher existierende blaue Anleihen die Emissionserlöse stecken.

Nachhaltigkeitsthemen von Blue Bonds

Da bislang eine einheitliche Taxonomie fehlt, klassifizierten die Studienautoren die von ihnen erfassten Blue Bonds über Ziele, Wirkungen und Aktivitäten, die sie finanzieren (sollen). Datengrundlage sind hier 24 Blue Bonds. Da die Anleihen häufig mehrere Ziele adressieren, ist die Summe der (Impact-)Ziele weit größer als die Anzahl der Bonds.

Im Themenfeld der lebenden bzw. biologischen Ressourcen (Fischerei und Aquakultur) wollen 16 Blue Bonds (BB) nachhaltige Wirkungen erzielen.

Unter der Oberkategorie „nichtbiologische Ressourcen“ sind 9 BB zur Finanzierung erneuerbarer Energien und 2 BB für Investitionen in Meerwasserentsalzung zusammengefasst.

Die Kategorie Seehandel / Kommerz rund ums Meer umfasst maritimen Transport und Hafeninfrastruktur (8 BB) sowie Tourismus und Erholung (5 BB). 

Die nachhaltige Meeresbiologie untergliedern die Studienautoren in die Themenbereiche: Biodiversität (14 BB); Kohlenstoff-Sequestrierung (Kohlenstoffbindung durch Meerespflanzen, Algen und Meeresböden) (1 BB); Küstenschutz (9 BB); Nährstoffe und Abfallprodukte (22 BB).

Unter der Kategorie Wasserzugang / -knappheit werden subsumiert: Wasser-Infrastruktur und Speicher (3 BB) sowie effiziente Wassernutzung (7).

Neue Kategorie, altes Spiel

Man könnte nun fragen: weshalb eine neue Kategorie bilden? Ist nicht das Meer durch Green Bonds schon ausreichend abgedeckt, auch wenn dieses manchmal tiefblau schimmert?  

Im Kampf der Themen möchte aber jedes Thema nicht nur genügend Aufmerksamkeit erhalten, sondern auch eine eigene begriffliche Spurrille setzen, die sich mental und kommunikativ eingraviert. Indem Blue Bonds eine eigene Kategorie mit eigenem Namen bilden, signalisieren sie ihre Zuständigkeit für ein besonderes Nachhaltigkeits-Problem mit eigenständiger Wichtigkeit und Dringlichkeit. Blue Bonds bekämen damit auch Konditionierungsmacht. Mit Green Bonds etwa haben sich viele Marktteilnehmer schon auseinandergesetzt; fällt das Wort, setzen automatische, berechenbare Reaktionen ein. Bei Blue Bonds ist das noch nicht der Fall. Blue Bonds sind noch nicht so weit ins Bewusstsein der Anleger vorgedrungen wie Green Bonds. Und das hat Gründe.

Probleme der Blue Bonds

Eines der Probleme, mit denen Blue Bonds derzeit zu kämpfen haben, ist eine fehlende einheitliche Definition. Es geht zwar ums Meer, man könnte auch sagen: um salzige Wassermassen, die erhebliche Nachhaltigkeitsprobleme haben. Aber Blue Bonds sollen Gelder für Investitionen zur Milderung oder Lösung doch sehr unterschiedlicher maritimer Nachhaltigkeitsprobleme einsammeln. Wie eben schon am Beispiel von nur 24 Blue Bonds gezeigt: es gibt eine Vielzahl von Themen mit sicher unterschiedlicher Dringlichkeit: vom Meeresspiegelanstieg bis zum Tourismus als wichtigem Wirtschaftszweig.

Aufgrund uneinheitlicher Vorstellungen erweist sich auch die Frage nach der Abgrenzung gegen andere Bond-Kategorien als schwierig. Das zeigt das Beispiel von nachhaltigen Anleihen mit Fokus auf Süßwasserschutz einschließlich Infrastruktur (Water Bonds), die, anders als Blue Bonds, bereits eine signifikante Marktgröße erreicht haben. Ist Süßwasser ein eigenständiges Thema für Anleihen oder sollte man es, auch weil viel Wasser vom Land in die Meere strömt und deren Nachhaltigkeit beeinflusst, unter Blue Bond subsumieren – fragen sich auch die Studienautoren.

Wenn es schon bei der Definition hapert, kann es nicht überraschen, dass für Blue Bonds bislang keine allgemein anerkannte Taxonomie vorliegt und verbindliche Standards fehlen. Bei vielen der gegenwärtig emittierten Blue Bonds sei außerdem nicht klar, so Bosmans und Mariz, ob sie die proklamierten Absichten überhaupt umsetzen können und ob die per Emission kollektierten Gelder zielführend eingesetzt werden. Dieser Mangel hält bisher offenbar auch viele Emittenten davon ab, ihrer Anleihe das Blue-Bond-Etikett umzuhängen. Sie bevorzugen stattdessen das Label „Green Bond“ bei ihrem Werben um die Gunst der Investoren. Das sei, so die Studienautoren, ein erhebliches Hindernis für das weitere Wachstum des Marktes.

Ein weiterer wunder Punkt von Blue Bonds ist die Wirkungsmessung. Zwar sind die oben angesprochenen Impact-Ziele dieser Anleihen sehr vielfältig und viele Bonds verfolgen mehrere Impact-Ziele zugleich, so dass durchaus Eifer bei der Verfolgung von Nachhaltigkeitszielen zu erwarten wäre. Aber von 26 BB Bonds der Datenbasis veröffentlichten nur 17 Impact-Daten, 11 verzichteten darauf. Von den 17 wiederum gibt rund ein Drittel „nur“ generelle Ziele an, die nicht konkret operationalisiert sind. Nur 11 von 26 BB machen Angaben über (quantifizierbare) Impact-Ziele der Projekte, zu deren Finanzierung die Anleihen begeben wurden. Damit hat ein erheblicher Anteil der Blue Bonds keine mess- und nachprüfbare Impact-Ziele. Das mindert ihre Attraktivität in einer Zeit, in der nachhaltige Investoren verstärkt auf eine verifizierbare Nachhaltigkeit-Wirkung ihrer Geldanlage achten.

Schluss

Blue Bonds sind ein noch junges Segment des nachhaltigen Anleihen-Marktes, aber auch ein Beispiel für die wachsende Artenvielfalt und für die zunehmende Binnendifferenzierung von nachhaltigen Geldanlagen. Blue Bonds leiden jedoch noch an typischen Kinderkrankheiten, die man auch von Green Bonds her kennt. Inwiefern sie von Green Bonds lernen, die notwendigen Fehler schneller zu durchlaufen und die Defizite der Frühphase hurtiger zu überwinden, bleibt abzuwarten. Vielleicht benötigen Blue Bonds auch zuerst den einen oder anderen Hype, um auf dem umkämpften Nachhaltigkeits-Markt als eigenständige „Marke“ dauerhaft wahr- und angenommen zu werden.

Link zur Studie „The Blue Bond Market: A Catalyst for Ocean and Water Financing“