ESG: Gute Idee mit Nebenwirkungen

Mit nachhaltigen Investments gutes Tun und mehr verdienen? Hans Peter Schupp, Vorstand der Fidecum AG und Portfoliomanager des Contrarian Value Euroland Fonds (ISIN: LU0370217092) erklärt, warum dies nicht so einfach ist.

Am Anfang stand eine brillante Idee. Würde nur noch in Unternehmen investiert, die höhere Standards in Sachen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) erfüllen, müsste die Welt ein besserer Ort werden. Und da solche Firmen perspektivisch bessere Geschäftsaussichten haben und weniger Risiken bergen, könnte dieser Ansatz sogar höhere Renditen bringen. Gutes Tun und mehr verdienen.

Im Jahr 2006 forderten die UN Principles for Responsible Investment (UN PRI) deshalb institutionelle Investoren weltweit auf, ESG-Kriterien in ihre Anlageprozesse aufzunehmen.  17 Jahre später, Ende 2023, lag die Gesamtsumme nachhaltiger Publikumsfonds und Spezialfonds laut den Daten des Forums Nachhaltige Geldanlagen (FNG) in Deutschland schon bei 905 Milliarden Euro. Am deutschen Gesamtmarkt erreichen Fonds, die „irgendwie“ nachhaltig anlegen, so einen Anteil von 21,8 Prozent. Die Idee beginnt sich offensichtlich durchzusetzen. Doch wer näher hinsieht, erkennt einige Ungereimtheiten.

Was ist eigentlich nachhaltig?

Der Terminus „irgendwie“ ist natürlich bewusst gewählt. Denn noch immer werden die wichtigsten Fragen im Zusammenhang mit der Nachhaltigkeit nicht zufriedenstellend beantwortet: Was bedeutet Nachhaltigkeit? Wann ist ein Unternehmen nachhaltig? Und wann ist ein Fonds nachhaltig?

Schon das scheinbar einfache Instrument der Ausschlüsse ist diskutabel. Unter den Top-Ten der Ausschlusskriterien sind laut FNG die Bereiche Waffen, Fossile Energieträger und Kernenergie. Ist dies tatsächlich gerechtfertigt? Was machen wir ohne Öl? Zum Beispiel werden etwa neun von zehn Tabletten heute aus Erdöl-Derivaten hergestellt. Können wir wirklich auf Waffen verzichten, wo doch die eigene Verteidigungsfähigkeit ein Grundpfeiler des Schutzes unserer Demokratie ist? Und sind moderne, viel sicherere Kernkraftwerke als Ersatz für den Klimakiller Kohle tatsächlich kategorisch abzulehnen?

Um den Fondsgesellschaften – und damit auch den Investoren – eine verlässliche Richtlinie an die Hand zu geben, hat sich mittlerweile eine eigene, riesige Bürokratie etabliert. Sie stellt formale, standardisierte Kriterien für das Label „Nachhaltigkeit“ auf. Doch die Welt von SFDR, EU-Taxonomie, TCFD, PAI und OffVO ist nicht nur für Anleger schwer zu durchschauen. Bei den Fondsgesellschaften verursacht sie einen enormen Aufwand, der vielleicht besser für das Management der Anlagen verwendet würde.

Um überhaupt rechtssicher mit diesem Thema umgehen zu können, berufen sich die meisten Fondsgesellschaften heute auf ESG-Ratings. Folgerichtig ist hier ein lukrativer Geschäftszweig entstanden. Mittlerweile hat sich ein teures Oligopol aus sechs großen Agenturen etabliert (MSCI, Sustainalytics, S&P Global ESG Scores, Refinitiv ESG Scores, ISS und Moody’s).

Warum ESG-Ratings kritisch zu hinterfragen sind

Das Problem: Die Agenturen bewerten einzelne Unternehmen unterschiedlich. Das kann auch gar nicht anders sein. Denn im Prozess werden qualitative Themen – zum Beispiel soziale Standards – in ein quantitatives System übertragen. Dabei spielen zwingend subjektive Aspekte eine Rolle. Nachhaltigkeit ist eben so individuell wie die ethischen und moralischen Überzeugungen des einzelnen Betrachters.

Insbesondere im Small-Cap-Sektor sind die Aussagen der Agenturen mit Vorsicht zu genießen. Kleine Firmen können oder wollen sich eine teure und detaillierte Nachhaltigkeitsberichterstattung oft nicht leisten. Entsprechend lückenhaft, veraltet und zum Teil schlicht falsch sind unserer Erfahrung nach die Rating-Ergebnisse. Ist ein Engagement bei solchen Firmen deshalb nicht nachhaltig?

Auch in der Unternehmensführung hat eine stärkere Orientierung an ESG-Kriterien Nebenwirkungen. Während die operativen Ziele zuletzt vielfach massiv verfehlt wurden, konnten Vorstände Teile ihrer variablen Vergütung durch die Erfüllung von ESG-Vorgaben „retten“. Es wurden Solaranlagen installiert, Bienenpatenschaften übernommen, Spenden getätigt, die nicht näher spezifizierte Diversität erhöht und Ethikschulungen durchgeführt. Weil das Geschäft schlechter lief, verringerte sich außerdem quasi von allein der CO2 Ausstoß. Ist das die richtige Anreizstruktur?

Manchmal geschehen innerhalb der Agenturen ebenfalls schwer nachvollziehbare Dinge. So wurde im Mai 2021 Nvidia aufgrund einer Herabstufung der ESG-Bewertung aus dem MSCI World SRI Index ausgeschlossen. Das Fehlen von Nvidia im SRI-Index wirkte sich dann aber im weiteren Jahresverlauf deutlich auf die Performance des Index im Vergleich zum traditionellen MSCI World aus. MSCI reagierte und kündigte eine Änderung der Methodik seiner SRI-Indizes an. Künftig solle der Fokus auf ESG-Standards mit der Stabilität und Repräsentativität des Index besser ausbalanciert werden. Im Mai 2023 wurde die Aktie wieder in den Index aufgenommen.

Bessere risikoadjustierter Renditen durch nachhaltige Investments?

Heute hat Nvidia im MSCI World SRI ein Gewicht von fast 17%. Im MSCI World dagegen sind es nur etwas mehr als vier Prozent. Weltweit nachhaltig anlegen ist heute also vor allem eine Wette auf Nvidia. Dass der MSCI World SRI Index grundsätzlich technologielastiger ist als der MSCI World ist, erklärt auch den Großteil zur relativen Performance und Volatilität vieler Nachhaltigkeitsansätze. 2021, 2023 und in diesem Jahr schnitten sie überdurchschnittlich gut ab, 2022 dagegen vergleichsweise schlecht.

Wer in Zukunft die Nase vorn haben wird, wissen wir natürlich nicht. Wir erinnern uns aber noch gut daran, dass 2020 und 2021 vor allem nachhaltig investiertes Kapital für eine grüne Blase bei den Solarfirmen sorgte. Heute notieren die gängigen Solar-Indizes mehr als 50 Prozent unter ihren Höchstständen. Sind die Finanzdaten unattraktiv, ist ein Investment in nachhaltige Firmen eben auch nicht nachhaltig.

Unser ESG-Ansatz – Analyse von Ratings und der morgendliche Blick in den Spiegel

Nicht, dass wir uns falsch verstehen. Nachhaltig Investieren ist grundsätzlich eine gute Idee. Nur sollte dieses Thema nicht dogmatisch, sondern mit Augenmaß und gesundem Menschenverstand behandelt werden.

Deshalb haben wir bei Fidecum einen eigenen Ansatz gewählt.
Wir konzentrieren uns im ersten Schritt allein auf das Renditepotential der einzelnen Unternehmen.  Danach vergleichen wir den ESG-Score unseres gesamten Portfolios mit dem der Benchmark. Hierfür nutzen wir die Daten der Rating-Agentur Refinitiv. Sollte unser Score bedeutend niedriger ausfallen, analysieren wir, welche Aktien dafür konkret verantwortlich sind. Ist die Refinitiv-Beurteilung aus unserer Sicht stichhaltig, ersetzen wir die Aktie durch einen Titel mit besserem ESG-Scoring und ähnlichem Renditepotenzial. Entscheidungsgrundlage bleibt aber immer unser eigenes Research.

Dabei ist der morgendliche Blick in den Spiegel ein wichtiges Kriterium. Als Fondsmanager sind wir uns schließlich der treuhänderischen Verpflichtung unserer Kunden gegenüber bewusst. Aus reinen Renditegesichtspunkten fanden wir zum Beispiel das italienische Mineralölunternehmen SARAS interessant. Doch unsere Analyse zeigte: Das Unternehmen konnte nur dadurch überdurchschnittliche Margen erwirtschaften, weil es wertloses Schweröl, welches nur begrenzt als Teer oder Bitumen genutzt werden kann, in Sardinien in einem Kraftwerk verbrannte. Natürlich hatte es dafür die staatliche Genehmigung. Trotzdem war der Umweltaspekt für uns nicht tragbar. So versuchen wir, nachhaltig zu investieren und gleichzeitig eine langfristige Überrendite zu erzielen.

Vermögen langfristig aufbauen

Bei unserem Contrarian Value Euroland Fonds (ISIN: LU0370217092) bleiben wir seit 25 Jahren unserer Anlagephilosophie treu, in unterbewertete Firmen mit Potenzial und nachvollziehbarem Geschäftsmodell zu investieren. Dabei agieren wir wie ein Unternehmer, der die gesamte Firma kaufen möchte und stellen uns – wenn nötig – bewusst gegen die herrschende Marktmeinung.