ELTIF: Bald ein Volksvehikel?

Oder ist diese Überschrift zu antiquiert? Das Vehikel selber ist es jedenfalls nicht – ganz im Gegenteil.

Im 17ten oder 18ten Jahrhundert war die Grand Tour durch Europa noch den Söhnen des Adels vorbehalten. Gegen Ende des 20ten Jahrhunderts war aus dieser Keimzelle des Tourismus bereits ein klassenloses Phänomen geworden: Billigflüge und standardisierte Reise-Infrastrukturen machten die Reise in die weite Welt hinaus auch für subelitäre Schichten obligatorisch. Die Wenigen mit großem Vermögen waren vorangegangen, die Vielen mit kleinem Vermögen hatten nachgezogen. Ein Trickle-down-Effekt, wie er im Buche steht auch in vielen anderen Bereichen moderner, dynamischer Gesellschaften, beispielsweise bei der Geldanlage.

In breiten Bevölkerungsschichten wurde das lange autokratisch herrschende Sparbuch in den letzten Jahrzehnten zunehmend durch Fond in Schach gehalten oder ganz entmachtet: War die weite Welt der Geldanlage zunächst Privileg der Reichen und Institutionellen, konnten nun – ähnlich wie in der Tourismus-Branche – auch weniger Betuchte das Anlageuniversum bereisen. Allerdings mit Reichweitengrenzen, die durch Vermögensdifferenzen markiert sind. Denn das Kleinanleger-Universum war und ist immer noch die meist fondsvermittelte Welt der Aktien, Anleihen und Immobilien. Jenseits davon wuchsen jedoch neue Anlageklassen heran, deren Werte nicht an regulierten Börsen gehandelt werden, wie: Private Equity, Private Debt, Hedge Funds, Infrastructure. Dieser Weltausschnitt der alternativen Anlagen ist bislang Domäne der Vollprofis und Vermögenden geblieben. Er galt in der breiten Öffentlichkeit jedoch auch lange als jener verworfene Ort, an dem die Dämonen der Profit-Profis hausen. Dem Fremdausschluss korrespondierte der Selbstausschluss der Kleinanleger, deren Gelder erst in aggregierter Form Macht entfalten.

Das erweckte irgendwann die Aufmerksamkeit von EU-Institutionen. Ihr Interesse an der Retail-Klasse begründeten sie damit, dass europaweit immense Gelder für Investitionen in digitale und energetische Infrastrukturen sowie andere langfristige Projekte erforderlich seien. Dabei könne man auf das Potential der Retail-Investoren nicht verzichten. Es startete die erste Phase eines Produktentwicklungsprozesses, an dessen Ende der European Long-Term Investment Fund (ELTIF) der Version 1.0 stand. Seit Dezember 2015 wurde in diesem Rahmen der Versuch unternommen, die bisher geschlossene Gesellschaft der Institutionellen und Vermögenden auch für Kleinanleger zu öffnen.

Ob der ELTIF irgendwann zum „Volksvehikel“ wird, bleibt allerdings abzuwarten. Es handelt sich um ein evolutionsbereites Projekt: nach den Erfahrungen mit der Version 1.0 und einer Reflexionsperiode wird seit Januar 2024 Version 2.0 umgesetzt. Das neue Rahmenwerk nahm allzu einengende Regulierungen und Mindestbedingungen zurück. Die Flexibilisierungen sollen den Asset Managern mehr Spielräume gewähren und die Höhe der verbleibenden Hürden der Vermögensgröße und dem Kenntnisumfang von Retail-Kunden anpassen. Man erwartet daher Wachstum sowohl beim Produktangebot wie auf der Nachfrageseite. Der Markt sollte entsprechend expandieren.

Jüngste Marktentwicklung

Die umfassendste einschlägige Markt-Studie für den deutschsprachigen Raum erstellt seit einigen Jahren regelmäßig Scope. In der jüngsten Studie vom Mai 2024 analysierte das Ratinghaus den ELTIF-Markt 2023 und präsentierte Ergebnisse einer im Frühjahr 2024 durchgeführten Umfrage unter 34 Asset Managern.

Zwar würden, so die Scope-Studie, viele Fondsanbieter durchaus hohe Erwartungen an ELTIFs knüpfen, aber es gebe auch etliche bremsende Kräfte. Ein entscheidender Faktor des Erfolgs seien laut Scope-Umfrage die Private-Banking-Abteilungen der großen Banken und Vertriebe; sie müssten die Möglichkeiten der Variante 2.0 den breiteren Kundensegmenten nahebringen und nicht nur einer kleinen Anlegerelite. Bisher hätten sich aber hier das geringe Produktangebot und bescheidene Fondsvolumina als Hemmschuhe erwiesen. Scope identifiziert als Wachstumsbremse zudem den Beratungsaufwand, der deshalb sehr hoch sei, weil viele Retail-Anleger mit den intern sehr heterogenen und von den Öffentlichen in vielem sich unterscheidenden Privaten Märkte, mit den hier üblichen Abläufen und mit den Ertragscharakteristika bzw. Risiken noch nicht vertraut seien.

Wie entwickelte sich der ELTIF-Markt in jüngster Zeit?

Scope zählte für 2023 im Euro-Raum 95 ELTIFs von 41 unterschiedlichen Asset Managern; im Laufe dieses Jahres seien 20 neue ELTIFs lanciert wurden.

Einen ganz aktuellen Markt-Überblick bietet das online zugängliche „Register of authorised European long- term investment funds (ELTIFs)“, eine Excel-Tabelle der europäischen Regulierungsbehörde ESMA, in der die zugelassenen ELTIFs verzeichnet sind. Stand Mitte Oktober 2024 verzeichnet die Liste 124 zugelassene ELTIFs zu, wovon 51 in Deutschland vermarktet werden.

Zwischen Januar (d.h. ab 10. Januar) und Mitte Oktober 2024 wurden 40 ELTIFs zugelassen, davon werden 14 auch in Deutschland vermarktet. Das ist also schon nach 9 Monaten das Doppelte der Zulassungen von 2023, allerdings verharrten wohl etliche ELTIFs längere Zeit in den Startblöcken bis zum Startschuss für das Regime 2.0.  

Die ESMA differenziert in ihrer Excel-Tabelle ELTIFs nach drei Investoren-Kategorien: Institutionelle bzw. professionelle Anleger (Prof), Nichtprofessionelle Anleger / Kleinanleger (Retail) und Prof- und Retail-Anleger gemeinsam.

Für nicht alle, aber für die weitaus meisten ELTIFs liegt diese Information vor. Gemäß ESMA-Liste sind 50 ELTIFs nur für Prof-Anleger gedacht, 17 nur für Retail-Investoren und 50 sowohl für Retail und Prof.

ELTIFs bis 2019 waren überwiegend für Prof-Investoren konzipiert, 2020 und 2021 überwogen die Retail- sowie die Retail+Prof-Variante, 2022 bis Frühjahr 2024 dominierte die Kombination Retail+Prof, danach lagen klar die Prof-Investoren vorne. Denn unter den 40 ELTIFs, die zwischen 10. Januar und Mitte Oktober zugelassen worden sind, waren 20 für Prof, 17 für Retail+Prof (die vor allem im Januar, Februar und März an den Start gingen), 1 für Retail und bei 2 fehlt die Angabe.

Das heißt erstens, dass ELTIFs, mit deren Start man auf das seit 10. Januar angewandte ELTIF 2.0-Regime gewartet hatte, für Retail+Prof konzipiert waren. Zweitens sind aber seit April ELTIFs überwiegend nur für Prof-Investoren aufgelegt worden. Man müsste sich das natürlich genauer anschauen, aber auf den ersten Blick spricht das nicht dafür, dass die Bemühungen der EU-Institutionen, diese Vehikel für Retail- bzw. Kleinanleger zu öffnen, in diesem Jahr wirklich gefruchtet haben – sondern eher für das Gegenteil, d.h. für eine gewisse Konzentration auf das herkömmliche Zielpublikum aus der „geschlossenen Gesellschaft“.

Retail-Schwellen

Dirk Holz, der als Vorsitzender der Geschäftsführung und Chef des Fondsmanagements bei Commerz Real auch mit dem hauseigenen ELTIF Klimavest befasst ist, sagte uns im Gespräch, dass selbst im Retail-freundlichen Klimavest die durchschnittliche Anlagesumme weit über dem für Kleinanleger typischen Betrag liege (siehe Interview mit Dirk Holz in dieser Ausgabe). Das war bisher unter ELTIF 1.0 auch regulatorisch bedingt, weil die Mindestanlagesumme 10.000 Euro betrug. Die ist jetzt weggefallen. In Verbindung mit Vorgaben für die Diversifikation, die auch gelockert worden sind, konnten die regulatorischen Auflagen nur erfüllt werden bei einem Geldvermögen ab 100.000 Euro aufwärts. Nicht jeder Kleinanleger kann so viel Geld in Finanzinstrumente stecken.

Auch andere Kenner der Szene gehen davon aus, dass ELTIFs zunächst weiterhin vor allem in den oberen Lagen der Vermögenspyramide Investoren suchen und finden werden: im Private-Banking- und im semi-institutionellen Bereich oder auch noch im gehobenen Privatkunden-Bereich, während offen bleibt, ob überhaupt oder ab wann das Segment der typischen Kleinanleger in größerem Umfang „beigemischt“ wird.

Dirk Holz machte in unserem Gespräch auch deutlich, dass etliche gravierende Unterschiede zwischen Institutionellen Investoren, die in geschlossenen Fonds sozialisiert worden sind, und Kleinanlegern bestehen. Das fängt bei den Kenntnissen in diesen schwer zu durchschauenden Märkten an, betrifft die Verschiedenheit der Investitionsprozesse und wirkt sich nicht zuletzt in unterschiedlichen Renditevorstellungen aus. Retailkunden sind zudem – anders als Institutionelle – an ausreichender Liquidität bei Anlagen in einem an sich illiquiden Segment interessiert, sie möchten gerne einsteigen und vor allem aussteigen, wann sie es für richtig erachten. Weil also zwischen Prof- und Retail-Anlegern viele fundamentale Differenzen bestehen, dürfte die Kombination Prof / Retail in einem ELTIF gelinde gesagt eine erhebliche Herausforderung darstellen.

Einige Unterschiede und Vergleichsprobleme

Was ermöglicht einen langfristigen Erfolg des ELTIFs? Die einfachste und am weitesten verbreitete Antwort heißt: eine langfristig gute Performance. Hohe erwartete Renditen beflügeln die Phantasie meist deutlich mehr als die korrespondierenden Risiken. Aber das Risiko muss eben auch passen – zur Rendite – d.h. hier wären risikoadjustierte Renditen zu betrachten – wie selbstverständlich zu den Risikopräferenzen des Investors. Das gilt für ELTIFs wie für jedes andere Anlagevehikel.

Allerdings beginnen hier auch schon mögliche Schwierigkeiten, die gleichfalls aus Differenzen zu öffentlichen Märkten resultieren.

Die Angabe der Renditehöhe von Investitionen auf Privatmärkten können oftmals nicht unbesehen mit Renditen gleicher Höhe auf öffentlichen Märkten gleichgesetzt werden. Das zeigen insbesondere Studien zu Investments in Private Equity (hierzu ein Studienüberblick im Private Banker: Welt der Beteiligungen)

Demzufolge gilt bei Investments in Private Equity häufig ein etwas esoterisch anmutender Lehrsatz 1, der beispielsweise besagt: „10 Prozent sind nicht gleich 10 Prozent“. Der Grund ist, dass die Methoden der Renditeberechnung auf typischen illiquiden Märkten sachlich bedingt andere sind als auf öffentlichen Märkten. Um aus Lehrsatz 1 den gewöhnlichen tautologischen Lehrsatz 2 „7 Prozent sind gleich 7 Prozent“ zu machen, berechnen Finanzwissenschaftler gerne die Privatmarkt-Renditen in Form eines Öffentlichen-Markt-Äquivalents; dabei wird z.B. ein geeigneter Aktienmarkt als Benchmark gewählt und die Privatmarkt-Rendite in diesem Referenzsystem ausgedrückt. Wenn sich dann für ein Private-Equity-Investment 7 Prozent ergeben, dann entspricht das, so die Idee, gleich 7 Prozent auf öffentlichen Märkten. Schaut man nun wieder auf die für illiquide Assets spezifische Berechnungsmethode, dann kann sich daraus ein in der Schule nicht gelehrter Satz 3 ergeben, nämlich: 10 Prozent sind gleich 7 Prozent. Das wäre der Fall, wenn man in unserem Private-Equity-Beispiel mit der branchentypischen Berechnungsmethode auf 10 Prozent Rendite käme, während die Äquivalenz-Rendite in Begriffen eines öffentlichen Marktes nur 7 Prozent betrüge.  

Das Problem stellt sich auch beim Risiko, da es sich hier – egal wie man Risiko definiert – um Rendite-Veränderungen im Zeitverlauf handelt. So wird kritisch darauf hingewiesen, dass die üblichen Risikomaße für liquide Assets, wie etwa die Volatilitäten, die Risiken auf illiquiden Märkten nur unvollständig erfassen und daher das „wahre“ Risiko eher unterschätzen. Häufig werden daher andere Maße und Verfahren verwendet, um Risiken adäquat abzuschätzen.

Ein weiterer Unterschied betrifft die Chancen und Risiken des Asset Managements. Öffentliche Märkte sind meist relativ informationseffizient, das gilt insbesondere für die wissenschaftlich am intensivsten und permanent durchleuchteten US-Aktienmärkte. Wer hier anlegt, kann kaum auf dauerhafte Informationsvorteile setzen. Privatmärkte sind in der Regel deutlich intransparenter und schwerer zu durchschauen und somit sehr viel weniger informationseffizient. Das mit dem beschränkten Durchblick gilt übrigens auch für Finanzwissenschaftler, die statistisch geeignete öffentliche Informationen (also massenhaft vorliegenden Daten) verarbeiten und damit ihrerseits wieder (ver)öffentlich(t)e Informationen produzieren – wäre es anders, wäre der Markt effizient. Das ist aber äußerst reizvoll für die „Kunst“ der Geldanlage und das ideale Aktionsfeld eines aktiven Managements, das auf die Ausbeutung von spezifischen Informations- und Wissensvorsprüngen im Verhältnis zu anderen Asset Managern abzielt. Und das gelingt auf Privatmärkten Studien zufolge einem Teil der Manager durchaus. Ebenso wie es einem Teil ziemlich misslingt. Daraus resultiert, dass auf Privatmärkten große Ertragsunterschiede einzelner Manager zu beobachten sind. Und deshalb ist es wichtig, solche Manager zu identifizieren.

ELTIFs sollen nach dem Willen der Europäischen Kommission u.a. helfen, die Energie- und Digitalinfrastruktur im EWR aus- bzw. umzubauen. Das Bild zeigt Server im Datencenter des CERN, das sowohl Teil der Digital- wie auch der Energieinfrastruktur ist. Das CERN soll im Normalbetrieb etwa die Hälfe der Energie von Genf benötigen. Diese Hochenergie-Beschleuniger-„Fabrik“ ist Avantgarde beim Vordringen in die kleinsten Raum- und Materiestrukturen. Raumeroberung dieser Art war auch Voraussetzung für die Miniaturisierung der Schaltvorgänge bei der Informationsverarbeitung, was außer Raum auch Zeit und Energie pro Bauteil bzw. Schaltakt massiv reduzierte. Das wiederum war Voraussetzung für die Wellen expansiver IT-Revolutionen, deren Hardware nun aber aggregiert ihrerseits immense Gesamtenergien „verbraucht“ bzw. in Wärme verwandelt. Auch hier scheint im Rückkopplungskreis von Informations- und Energieinfrastruktur eine Art von Jevons Paradox zu gelten: Energieeinsparung führt zu höherem Energieverbrauch. 

Schluss

ELTIFs verpacken Investitionen in illiquide private Assets in Formen, die sie auch für „Kleinanleger“ zugänglich und attraktiv machen sollen. Man wird sehen, wie diese Zielgruppe in den nächsten Jahren auf diese Angebote reagiert.

Stiftungen sollten sich diese Produktklasse unseres Erachtens in jedem Fall näher anschauen und nach Angeboten Ausschau halten, die in einem ersten Auswahlprozess ihren Risiko-, Rendite oder auch Nachhaltigkeitspräferenzen entsprechen. Es sollte auch klar sein, dass gerade Anleger, die bisher an öffentliche Märkte gewöhnt sind, die vorhandenen Beratungs- und Informationsmöglichkeiten auch aktiv wahrnehmen sollten. Denn zum einen bestehen, wie angedeutet wurde, grundlegende Unterschiede zwischen privaten und öffentlichen Märkten. Zum anderen gibt es auf den Privatmärkten eine große Bandbreite von Asset-Arten und -Unterarten. Die generalisierende Rede von „Private Markets“ verführt dazu, beim Blick von außen auf die Black Box die starke interne Heterogenität zu unterschätzen. Die Geldanlage in der Black Box erfordert zwar auch bei einer relativ benutzerfreundlichen Oberfläche von retailgeeigneten ELTIFs eine gewisse Einarbeitung. Aber die kann sich lohnen.