Ein ESG-Ausschluss der anderen Art

Tommy Piemonte ist Leiter Nachhaltigkeitsresearch bei der Bank für Kirche und Caritas eG in Paderborn

Die Europäische Kommission duldet keine abweichenden Ansichten: Rüstungsfinanzierung soll als „nachhaltig“ betrachtet werden

Seit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine ist das gesellschaftliche Bewusstsein gestiegen, dass wir für unsere Landesverteidigung und nationalen Sicherheitskräfte sowie unsere geopolitische Sicherheit Rüstungsgüter benötigen. Diesen Umstand machen sich seither die Rüstungsindustrie und einige Finanzakteure zunutze, um mehr Investitionen in Rüstungsgüter unter dem Label „nachhaltig“ zu erzwingen. Dieses Ansinnen wird von verschiedenen Akteuren, wie dem deutschen Fondsverband BVI, geteilt, der den bisher bestehenden Mindeststandard für nachhaltig vertriebene Fonds nun aufweicht, um Rüstungsunternehmen auch für Nachhaltigkeitsfonds investierbar zu machen. Ebenfalls die EU-Kommission ist bestrebt, mehr privates Kapital in die Rüstungsindustrie zu lenken. Sie ist darum bemüht, sämtliche Hindernisse, auch ESG-Einschränkungen, zu beseitigen.

Erschreckend ist für überzeugte Nachhaltigkeitsinvestoren nicht nur der Umstand, dass sich zukünftig Kapitalanlagen in Rüstung im großen Stil in nachhaltigen Investmentprodukten befinden können, sondern auch die neue Dimension, wie über den Sachverhalt diskutiert wird beziehungsweise, wie Diskussionen darüber unterbunden werden.

So fand am 27. November 2024 in Brüssel und online das „EU Defence Industrial Investment Forum“ statt. Darin ging es der EU-Kommission darum, mit der Rüstungsindustrie und der Finanzindustrie zu diskutieren, wie ESG-Hürden die Finanzierung von Rüstungsunternehmen behindern und wie man diese beseitigen kann. Tommy Piemonte von der Bank für Kirche und Caritas (BKC), nahm als Vertreter des Shareholders for Change-Netzwerks (SfC) teil und wurde während der Sitzung nach seinen kritischen Fragen ausgeschlossen.

„Ich habe an der Sitzung online teilgenommen und während der Fragerunde im dafür vorgesehenen Chat konkrete Fragen zum Thema gestellt“, so Piemonte. „Mit meinen beiden Nachfragen wollte ich wissen, warum die Waffenindustrie und die anwesenden EU-Gremien zum einen Waffen unbedingt als nachhaltig bezeichnen wollen und zum anderen, welche Aktivitäten sie dafür unternehmen, damit die Rüstungsindustrie nachhaltiger wird. Umgehend danach wurde ich aus der Veranstaltung geworfen.“

Nach mehr als einer Stunde und einem regen E-Mail-Austausch mit den Veranstaltern wurde Tommy Piemonte wieder online zugelassen. Per E-Mail wurde er darüber informiert, dass er die Veranstaltung – so die Wortwahl – „gestört“ hätte. Schließlich solle er bedenken, dass das Ziel des Investment Forums darin bestehe, sich mit dem Verteidigungssektor auszutauschen. Diese Begründung ist umso befremdlicher, als es bei der gesamten Veranstaltung darum gehen sollte, die Perspektiven der Finanz- und der Verteidigungsindustrie zu hören. Allerdings schien es den Veranstaltern darum zu gehen, nur solche Fragen und Forderungen zuzulassen, die einseitig in eine bestimmte Richtung gehen, nämlich zugunsten der Anliegen der Rüstungsindustrie. Dies bestätigen zwei weitere SfC-Mitglieder, die ebenfalls online teilnahmen. Es wurde beispielsweise darüber diskutiert, welche Hürden abgebaut werden müssten, damit auch Rüstungsunternehmen, die nur wenig Umsätze mit kontroversen Waffen wie Streumunition und Antipersonenminen machen, nicht mehr aus ESG-Gründen ausgeschlossen werden.

Die während der gesamten Veranstaltung von den Vortragenden geäußerte Kritik, dass Ausschlüsse des Verteidigungssektors aus ESG-Gründen den Zugang der Branche zu Finanzmitteln bedrohen, ist nicht nachvollziehbar. Denn jedem Investor und jedem Finanzinstitut steht es individuell frei, die Rüstungsindustrie zu finanzieren oder nicht. Warum ESG-Investoren und Finanzinstitute, die ESG-Risiken oder ethische Anliegen in ihrer Kapitalanlage berücksichtigen möchten, zu verstehen gegeben wird, dass sie Waffen als nachhaltig zu betrachten haben, blieb auch auf seine Nachfrage hin unbeantwortet.