Der T-Faktor

RenditeWerk fühlt sich schon allein aufgrund seines Namens zu der Frage verpflichtet: Lässt sich Trump als Renditefaktor entschlüsseln? Konträre Ansichten zu Rationalität und Berechenbarkeit Trumps samt Betrachtungen über eine Weltmacht im Überdehnungsmodus.
Donald Trump hat seit seiner Wahl im Herbst 2024 die Kapitalmärkte kräftig durcheinandergerüttelt. Viele Beobachter reden daher vom Trump-Effekt. Vielleicht könnte man auch von einem Trump-Faktor, kurz T-Faktor, sprechen – von einem systematischen Einflussfaktor auf die Renditen also. Die Bedeutung des T-Faktors resultiert weniger aus der gewichtigen globalen Rolle des US-Präsidenten, als vielmehr aus der idiosynkratischen Interpretation dieser Rolle durch Trump. Im Hinblick auf einen möglichen T-Faktor wäre zu fragen, ob er überhaupt zeitlich stabil ist, ob er nur mehr Unberechenbarkeit ins Finanzsystem pumpt oder ob es gelingt, Muster im Verhalten Trumps zu erkennen, die zu einer Verbesserung der Ertragsprognose führen. Jedoch ist auch nach fünf Monaten der zweiten Amtszeit Trumps der T-Faktor wohl nicht entschlüsselt, die Ansichten der Wirtschaftsexperten sind immer noch verschieden. Und das, obwohl sich gerade Finanzfachleute in der Regel um eine auffällig nüchterne, affektfreie Analyse der kausalen Zusammenhänge bemühen – im Kontrast zur oft stark von Wertgefühlen bestimmten öffentlichen Debatte.
Berechenbarkeit des T-Faktors
Eine der zentralen Fragen bei der Analyse des T-Faktors ist, inwiefern Trumps Handeln rational oder wenigstens berechenbar ist. Manche halten Trump für sehr gut berechenbar, da er in wesentlichen Punkten offen seine Ansichten und Absichten kommuniziere, seine Falschaussagen als solche kinderleicht erkennbar seien und Trump bestrebt sei, im politischen Handeln seine Ankündigungen auch gegen Widerstände konsequent umzusetzen. Zweifel an der Berechenbarkeit werden hingegen oft an Trumps antikonventionellem Verhalten festgemacht und teilweise auch an seinem bisherigen Track-Record. Genannt werden dann sein Kommunikationsstil, die Maßlosigkeit vieler Ziele und Mittel, Allmachtsphantasien, erratisches Verhalten und häufige Positionswechsel. Mit Blick auf die Realisierung wird oftmals darauf verwiesen, dass er in seinen ersten Monaten viele seiner großen Ankündigungen nicht umsetzen konnte und medienwirksam inszenierte Drohungen verpufften. Zur Verhaltenserklärung wird dann gerne auf Trumps Persönlichkeitsstruktur verwiesen – ein Ansatz, den wir hier nicht weiterverfolgen, weil wir kein Fachorgan für politische Psychologie sind.
Stattdessen wenden wir uns der Frage der ökonomischen Zweckrationalität seiner Wirtschaftspolitik zu: Wie sind seine Ziele ökonomisch zu bewerten? Sind seine Mittel geeignet, diese Ziele zu erreichen? Welche unbeabsichtigten Nebenfolgen ergeben sich aus seinem Vorgehen?
Institutionelle Grenzen: Beispiel Fed
Ein wiederkehrendes Argument lautet, dass Trump durch das amerikanische System der „Checks and Balances“ institutionell eingehegt werde. Extreme Entscheidungen provozierten Gegenkräfte – etwa im Kongress, durch Gerichte, die Bürokratie, die Bundesstaaten oder auch die Zentralbank. Demnach dämpfen – kybernetisch verstanden – negative Rückkopplungen des US-Gesellschaftssystems die Wirkung seines Handelns, verhindern es oder verkehren es möglicherweise in sein Gegenteil. Das einfachste – weil linear-additive – Argument für eine Einhegung würde lauten: Werden viele Institutionen in ähnlicher Weise herausgefordert, dann begibt sich Trump in Vielfronten-Konflikte. Gibt er daraufhin überwiegend nach, wurde er eingehegt. Gibt er überwiegend nicht nach, werden seine eigene Machtressourcen rasch verbraucht; daher wird er die Konflikte verlieren und wurde somit eingeht – wenn auch vermutlich zu höheren Kosten.
Institutionelle Einhegung führt hier zu Einhegungs-Konflikten. Ein solcher für Finanzmärkte relevanter „Einhegungs“-Konflikt ist der öffentliche Druck, den Trump auf die US-Notenbank Fed und deren Vorsitzenden Jerome Powell seit Monaten immer wieder ausübt. Er fordert deutlichere Zinssenkungen, um das Wirtschaftswachstum zu stützen – ein Ziel, das zwar das Mandat der Fed vorsieht, über das sie aber üblicherweise unabhängig von politischem Druck selbst entscheidet. Derartige Interventionen sowie begleitende Invektiven gegen Powell führten zu kurzfristigen Marktreaktionen aus Sorge um die Unabhängigkeit der Fed. Jedoch blieb die US-Notenbank bisher davon unbeeindruckt bei ihrem Kurs. Sollte sie diesen – auch nach politisch motivierten Personalwechseln – beibehalten, wären erstens Trumps Einflussversuche falsifiziert und zweitens würde als Folgewirkung davon die Unabhängigkeits-Reputation der Fed nicht geschwächt, wie vielfach befürchtet, sondern gestärkt.
Zweifel am Sinn der Trumpschen Vorgehensweise werden auch durch Studien gestützt, die zeigen, dass in der Vergangenheit nichtöffentlicher Druck die Fed mehr beeinflussen konnte als öffentlicher Druck. Letzterer hatte in der Regel nur kurzfristige Auswirkungen auf die Markterwartungen und Volatilität. Angesichts dessen wäre Trumps Vorgehen ein mit hoher Wahrscheinlichkeit ungeeignetes Mittel zum beabsichtigten Zweck.
Makroökonomische Rationalität
Ein weiterer kritischer Punkt, den viele sehr namhafte Ökonomen (wie Rogoff oder Krugman) anführen, sind die unbeabsichtigten makroökonomischen Nebenfolgen von Trumps Maßnahmen – etwa im Kontext seiner Zollpolitik. Zwar verfolgt er mit Schutzzöllen manifest strategische Ziele wie fairere Handelsbeziehungen, die Rückholung industrieller Kapazitäten und geringere Abhängigkeiten von internationaler Arbeitsteilung. Doch insbesondere Makroökonomen verweisen auf eine Vielzahl von daraus resultierenden Risiken für die Wirtschaft: steigende Inflation, unterbrochene Lieferketten, höhere Zinsen oder die Gefahr einer Rezession.
Nun ist es so, dass die Bewertung der makroökonomischen Mittel-Zweck-Rationalität paradigmen- und theorieabhängig ist. Die ungünstigen Einschätzungen wesentlicher wirtschaftspolitischer Maßnahmen der Trump-Administration durch die Mehrheit der Makroökonomen stützen sich jedoch auch auf historische Erfahrungen etwa mit protektionistischen Maßnahmen und auf historisch informierte Simulationsmodelle. Diesen Untersuchungen zufolge überwiegen mittelfristig die negativen makroökonomischen Folgen die möglichen strategischen Gewinne. In makroökonomischer Hinsicht würden also wesentliche Maßnahmen der Trumpschen Wirtschaftspolitik der Gesamtwirtschaft mehr schaden als nützen.
Mikroökonomische Rationalität
Viele Beobachter sehen den Schlüssel zum Verständnis von Trumps Politik und somit auch unseres T-Faktors in Trumps Vergangenheit als Unternehmer und „Dealmaker“. Mikroökonomen und Spezialisten für Verhandlungsstrategien gestehen dem gelernten „Dealer“ Donald Trump denn auch sehr viel häufiger ein ökonomisch zweckrationales Verhalten zu, als dies ihre Kollegen aus den makroökonomischen Abteilungen tun.
Im Kontext bilateraler Verhandlungen erkennen Ökonomen in der Kombination aus Maximalforderungen, massiven Drohungen und gegebenenfalls selektiven Anreizen eine Strategie, die geeignet ist, um Verhandlungspartner schnell zu sonst nicht erreichbaren Zugeständnissen zu bewegen – was impliziert, dass viele der angekündigten Maßnahmen letztlich nicht umgesetzt werden. Damit könnte man jedenfalls partiell auch die oben angeführten Argumente entkräften, Trump habe seine vollmundigen Ankündigungen vielfach nicht umgesetzt.
In diesem Kontext wird zuweilen sogar der Irrationalität ein Platz als Mittel höherer Zweckrationalität zugewiesen. Der Verhaltensökonom Axel Ockenfels etwa sieht in Trump einen Anwendungsfall für die sogenannte „Madman Theory“: Demnach setzt Trumps irrationales Verhalten bewusst als Teil seiner Verhandlungsstrategie ein, um durch Unberechenbarkeit seine Verhandlungsmacht zu vergrößern: Denn aus Angst vor „dem Verrückten“ würde die Gegenpartei auch Konditionen zustimmen, die sie anderenfalls ablehnen würde.
Mikro-Makro-Rationalität
Hans Peter Schupp vergleicht in seiner RenditWerk-Kolumne „Fall-Studie US Inc. – wenn Staaten wie Firmen denken“ Trumps Vorgehen mit dem eines Unternehmenssanierers, der versucht, die „US Inc.“ durch aggressive Maßnahmen wie Zollerhöhungen, Deregulierung und Kürzungen bei Sozialausgaben zu restrukturieren. Schupp beschreibt Trumps Verhandlungsstil als typisch für distributive Verhandlungen, bei denen Maximalforderungen mit öffentlichen Drohungen unter Berücksichtigung eigener Kosten kombiniert werden, um den eigenen Vorteil zu maximieren. Er sieht darin eine betriebswirtschaftlich rationale Herangehensweise. Das Problem aber sei, dass diese sich nicht eins zu eins auf Staaten übertragen lasse. Während Unternehmen auf Gewinn und Marktanteil ausgerichtet seien, verfolgten Staaten andere Ziele wie Wohlfahrt und Versorgungssicherheit. Eine zu starke Fokussierung auf kurzfristige wirtschaftliche Vorteile könne langfristig die Vorteile der internationalen Arbeitsteilung gefährden und zu einem Rückgang der globalen Nachfrage führen. Eine gewisse „Irrationalität“ Trumps liegt also Schupp zufolge darin, Staaten mit Unternehmen zu verwechseln.
America first: Das überdehnte Opfer
Ein bei der Beurteilung der Wirtschaftspolitik Trumps häufig etwas unterbelichteter Aspekt ist der globale Machtkonnex. Seit dem Kollaps des sowjetischen Machtblocks vor rund 35 Jahren ist das Weltsystem einer deutlich massiveren Machtdynamik ausgesetzt als in den vier Jahrzehnten zuvor. In der historisch kurzen Phase des unipolaren Moments, in dem die USA als einzige Weltmacht übrigblieb, dehnte sich der US-Einflussraum aufgrund unterschiedlicher Schub- und Zug-Faktoren kräftig aus. Bereits seit den 2000er Jahren warnten Analytiker vermehrt vor den Gefahren der Überdehnung. Mit der Zeit zeigte sich immer deutlicher, dass der Aufwand an Ressourcen der Machtprojektion gerade „in schwierigem Gelände“ bei zunehmendem Hardpower-Einsatz den zusätzlichen Nutzen überstieg. Zugleich erfolgte ein langfristiger Aufstieg diverser Herausforderer und „revisionistischer“ Mächte, die im konfrontativen Modus Ressourcen entziehen. Viele Beobachter sprechen vom Übergang zu einer „multipolaren Ordnung“.
Für die USA stellt die Erhaltung ihres bisherigen unipolaren Statusanspruchs jedenfalls zunehmend eine „Überdehnung“ dar. Imperien, Hegemonial- oder Großmächte müssen auf solche Konstellationen irgendwann irgendwie reagieren. Etwa mit der Restrukturierung von Einfluss- oder Herrschaftszonen, mit der Fokussierung auf strategisch als wesentlich definierte Regionen, mit dem Rückzug aus „ertragsschwachen“ Gebieten, mit der Externalisierung von Kosten, der Erhöhung von Tributen oder der Umwandlung öffentlicher Güter in beitragspflichtige Clubgüter. Das ist eine eher ökonomisch ausgerichtete Aufzählung von Beispielen – die etwa die militärische Option ausblendet. Aber die Vermutung ist: Ein Staat, der als Super-Vormacht ein relativ kompliziert strukturiertes Hegemonialsystem von riesigen Ausmaßen „bewirtschaftet“ und zugleich Überdehnungssymptome zeigt, verhält sich durchaus rational, wenn er von den Kalkülen der vier Machtsorten, die Michael Mann (The Sources of Social Power) unterscheidet (ökonomische, militärische, politische und ideologische Macht), das ökonomische Kalkül aus diagnostisch-kurativen Gründen zunächst höher gewichtet, als er es sowieso bereits tut. Das spräche für einen Saniererblick durch die „Inc.“-Brille, um die Sehschärfe für die Kosten-Nutzen-Relationen zu verbessern, wobei das Argument von Schupp natürlich richtig bleibt, dass die USA keine „Inc.“, sondern eine Staatsorganisation ist.
In diese Situation fällt nun Trumps Präsidentschaft. Die Hintergrundstory seiner ökonomischen Kalküle, die sich in der Forderung „America First“ verdichtet, besagt, dass sich die USA ökonomisch habe ausbeuten lassen – nicht nur durch Rivalen wie China, sondern vor allem auch durch Verbündete (z. B. NATO-Mitglieder), die „kostenlose“ öffentliche Güter oder zu billige Clubgüter nutzten. Schuld daran seien Trumps Vorgänger, weil sie dies wissentlich zugelassen hätten. Wenn aber die Welt mehrheitlich aus Trittbrettfahrern besteht, insbesondere unter Verbündeten, dann schwindet die Differenz zwischen Verbündeten und Nichtverbündeten umso stärker, je mehr die Höhe der behaupteten Trittbrett-Fahrtkosten zum Ordnungskriterium wird – und in diesem Ranking schneidet dann z.B. Russland gar nicht schlecht ab.
Eine solche Trittbrettfahrer- und Ausbeuter-Diagnose ruft nach einer umfassenden Durchleuchtung und Korrektur des bestehenden „Ordnungssystems“. Und hier sind gegenwärtig bilaterale Deals Trumps bevorzugte Mittel der Wahl. Das sieht aus wie eine Umgehung etablierter Institutionensysteme der hegemonialen indirekten Regulierung, was zunächst ökonomisch „irrational“ zu sein scheint, weil sich dadurch die Transaktionskosten erhöhen.
Nach dem Zweiten Weltkrieg entstand ein internationales Vertrags- und Institutionensystem (UN, WTO, IMF, Weltbank usw.), in dem die USA als Hauptgestaltungsmacht hervortrat. Noch mehr galt dies für die eigenen Bündnissysteme, die vom Kitt der asymmetrischen Abhängigkeit zusammengehalten werden, wie etwa die NATO. Institutionen dieser Art „verregeln“ Beziehungen, auch machtförmige, die der Hegemon dominiert. Das senkt Transaktionskosten der Koordination und Top-down-Steuerung, ermöglicht aber auch regulierten Bottom-Up-Einfluss. Aus Effizienzgründen sollten solche Institutionensysteme für den Hegemon eigentlich von Vorteil sein. Trump scheint dieser Ansicht derzeit nicht zu sein, da er die USA als „Opfer“ auch dieser Institutionen modelliert. Damit sich also die sehr aufwendigen und konfliktbehafteten bilateralen „Deals“ lohnen, müssten sie ein Übergangsphänomen sein, bei dem ein neues Macht-Arrangement verhandelt wird, das im Endergebnis die USA in Bezug auf wesentliche Nutzengrößen – gerade auch im Verhältnis zu Verbündeten – deutlich besserstellt als zuvor.
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Trump auf die Nutzung eines der bisherigen Hauptassets der USA größtenteils verzichtet: im Feld der ideologischen Macht vermeidet er in der Regel den offensiven Bezug auf normative Universalismen, die zuvor zur geopolitischen Werkzeugkiste gehörten (Klassiker wie Demokratie etc., dann zunehmend auch neuere Normenmodelle aus den Innovationszentren der „Humanities“). Das liegt u.a. daran, dass Trump die neueren Normenmodelle ablehnt und bekämpft, zumal sie außerhalb des Westens negativwertige ideologische Macht entfalten und auch in den USA an Grenzen ihrer Wirkkraft stoßen. Darüber hinaus erwiesen sich die klassischen „westlichen Werte“ in der unipolaren Expansionsphase selbst als Überdehnungsfaktoren in Raum und Ambition. Trump reicht offenbar seine Ausbeutungs-Erzählung für eine sinnhafte Einbettung seines ökonomischen Nutzenkalküls. Daraus folgt dann ohne viel weiteren ideologischen Überbau fast zwingend eine Neu-Kalkulation von Kosten und Nutzen der inneren wie äußeren Staatstätigkeit.
Damit scheint in einer Phase, in der die USA mit mächtiger werdenden „Herausforderern“ konfrontiert ist, eine gewisse Ähnlichkeit zu bestehen zwischen Trumps Weltdeutung und Wirtschaftsprogramm auf der einen Seite und dem, was Imperien mit Überdehnungsproblemen tun sollten. Ob beides wirklich zusammenpasst, ist eine vertiefende Frage. Ob es zur Entschlüsselung des T-Faktors beiträgt, wäre die abschließende Frage, deren Beantwortung wir hier und jetzt dann doch lieber vertagen.